Mechanisch populär

■ 11.Kölner Jazz Haus Festival

Der europäische Binnenmarkt hat im Jazz zwar schon seine Tradition, aber noch keine festumrissene Personalstruktur. So konnte zum 11.Kölner Jazz Haus Festival Europa in die Wohnzimmeratmosphäre des Stadtgartensaales mit überwiegend unbekannten Musikern einziehen: Man vermied ein überfülltes Haus und ermöglichte Programmvielfalt. „Aktuelle Musik aus Europa“, das Festivalthema, war der größte gemeinsame Hut, unter den paßte, was kam, und unter dem man im Programmheft weltmusikalisch philosophieren konnte: „Alles vermischt sich, es gibt eigentlich nur noch aktuelle Musik.“ Die meisten der eingeladenen Musiker ließen sich darauf ein, und so konnte man von ihnen hören, wie schwer es ist, sich aus diesem schier unerschöpflichen Fundus der Möglichkeiten sinnvoll zu bedienen.

Dagegen profitierten der sowjetische Musiker Sergej Kurjochin und seine Band „Popularnaja Mehanika“ offenbar von ihrem langen Ausschluß aus der Welt-Musikgeschichte. Mit der Distanz zu den vergangenen Auseinandersetzungen um die verloren geglaubte Moderne konnten sie wesentlich pointierter und ironischer mit den hier erfolgreichen Versatzstücken jonglieren als die meisten anderen Festivalteilnehmer - und nicht weniger respektlos mit dem heimischen Kulturgut. Präsentiert als große Zirkusnummer mit Clownerien des Pianisten, einer inszenierten Schlägerei und einer futuristischen Modenschau wirkte das Ganze wie ein Befreiungsschlag gegen alle musikalischen Konventionen. Sergej Kurjochin spielte mit den Klischees vom Sowjetreich und kombinierte sie geschickt mit westlichem Rock, Minimalismus und Punk. Doch immer wieder führte seine Musik zurück zur pianistischen Salonkultur des vorrevolutionären Rußland, als man in ganz Europa noch von derselben Musik gerührt wurde.

An der Oberfläche arbeitete die Gruppe „Ames“ der Wiener Komponistin Elfie Aichinger nach dem gleichen Rezept. Aber innerhalb ihrer kühn konstruierten Stücke reihten sich die heterogenen Spielmaterialien doch gar zu beliebig aneinander, und der zeitgenössische Zusammenhang zerfiel zu einem wirkungslos modischen. Näher am Konzept der „Popularnaja Mehanika“ bewegte sich die effektvolle Bühnenshow des Willem Breuker Kollektiefs, das nun schon seit 15 Jahren vor allem die musikalischen Einfälle anderer parodiert. Im Stadtgarten ging es konsequent noch einen Schritt weiter: Es parodierte sich lustvoll selbst. Im Überangebot der musikalischen Bezüge hatten im Grunde nur diejenigen eine Chance, die über die annoncierte Aktualität hinausgingen. Aber es waren gerade die jungen Musiker, die eilfertig den Trend bedienten, Zitate variierten und sich richtungslos in der Weite der freien Improvisation verloren.

Die einzige Künstlerin, die dem thematischen Rahmen nichts abgewinnen wollte, war Annette Peacock aus London. Für musikalische Moden hat sie kein Verständnis, denn sie hat schließlich eine Botschaft. Mit ihren ausgedehnten Instrumentalphantasien und kühlen Gesangsdeklamationen spielte sie unbeirrt im Abseits.

Clair Lüdenbach