„Sonst ist es ja Diebstahl

■ Claus Peymann beim ersten Publikumsgespräch des Berliner Theatertreffens

Wenn er in Wut gerät, klingt's, als wärs ein Stück von Thomas Bernhard. Dieses Zimmertheater Volksbühne, sagt er. Und Berlin ist ein einziger Schaum. „Sie ahnen in ihrem heruntergekommenen Theater in Berlin ja nicht, was Theater eigentlich sein kann.“ In Wien dagegen „gibt es noch eine Großbourgeoisie, teilweise zutiefst reaktionär, die in vielen Schlüsselstellungen sitzt, aber auch im Theater, und es gibt sehr große Teile der Bevölkerung, die das Neue suchen, Fragen haben. Aber hier in Berlin mit seinen „150.000 Vertretern des Swingin‘ Berlin, die die Schaubühne füllen, wo sind da die Spannungen?“. Das T bei Theater spricht er bereits perfekt wienerisch.

Dieses ewige beckmesserische Genörgel über die Längen im Heldenplatz geht ihm auf den Nerv. An den wenigen Strichen, die sie im Stück vornehmen mußten, sei sowieso nur die Gewerkschaft schuld. Denn die sorgt dafür, daß in Wien abends um elf Schluß ist. Mit allem. Außerdem sei Bruckner auch lang, und selbst Mozart habe immer dasselbe geschrieben. Dann sind die Feuilletons dran. Wenn die, wie im Falle Heldenplatz in Österreich geschehen, gegen ein Stück, einen Autor und ein Theater hetzen, dann sei keineswegs eine geheimnisvolle Macht am Werk, sondern die „ganz normale Blödheit“.

Im Publikum sind offenbar viele Studenten, angehende Dramaturgen und Möchtergern-Regisseure. Sie traktieren Väterchen Peymann in Sachen Nachwuchs-Förderung. Es sei ja heutzutage unmöglich, in diesen verknöcherten Stadtheaterbetrieb überhaupt noch reinzukommen. Und er sei da auch nicht gerade sonderlich hilfsbereit. Zwar kennt Peymann das Problem - vor knapp 30 Jahren hat ihn von 21 Theatern keins genommen, „auch Zadek nicht“ und er fragt sich, ob „wir heute auch falsch engagieren“. Als einer der Studenten das eifrig bestätigt und von Peymann lernen möchte, gerät er aber doch in Rage. „Sie delegieren ihre Sehnsucht als Verantwortung an uns“. Er hätte damals höchstens von Brecht was lernen wollen, aber einer wie Barlog, „der konnte mich am Arsch lecken“. „Wir hatten ein klares Feindbild, von Gründgens bis Hilpert, die es zu vertreiben galt.“ Seine Generation habe mal die Revolte gemacht, „heute sind wir die Opas, aber wir wirken noch jugendlich“. Und es sind ja gar nicht die jungen Nachwuchsregisseure, die Leute wie Rainald Götz auf die Bühne bringen, sondern er und seine Kollegen, die jetzt die Macht haben. Er fragt sich, wer heute die Palastrevolte machen soll. „Die alternative Szene deprimiert mich total“ alles nachgemachtes Stadttheater. Aber das Grau in Grau der Theaterszene sei vielleicht auch ein Reflex auf die amorphe gesellschaftliche Situation. „Ich sehe den Feind nicht mehr, aber auch nicht die Hoffnung“. Bei den Autonomen wie bei den Polizisten „der gleiche blöde dumpfe leere Blick“. Anfang der 60er Jahre habe es noch so etwas wie eine moralische Position gegeben, heute gibt es einen „Haufen von Unsicherheiten“.

Als Entschuldigung für schlechtes Theatermachen läßt er das aber nicht gelten. Viele seiner Kollegen, meint er, geben ein schlechtes Bild ab. „Diese Geldverdiener, diese Goldsucher... die Tatsache, daß wir soviel Geld verdienen, verpflichtet uns doch, auch etwas zu bringen. Sonst ist es ja Diebstahl.“ Schön, daß ein Regisseur ausnahmsweise mal nicht jammert über zu wenig Geld.

Nur zweimal wird er leiser. Als es um Bernhards Testament geht, dasnach Ablauf dieser Saison alle Bernhard-Stücke in Österreich verbietet: „eine unerhörte Tragödie“. Später merkt ein Zuschauer an, der Schluß von Heldenplatz sei schlecht inszeniert. Wahrscheinlich meinte er das billig Theatralische der Schlußszene, Peymann geht stattdessen auf die Besetzung ein. Frau Professor Schuster, die im Stück als Jüdin immer wieder das Geschrei der Nazis auf dem Heldenplatz hört, wird von Marianne Hoppe gespielt. Hoppe war zwischen 1933 und 1945 eine der Lieblingsschauspielerinnen Berlins und hatte wie ihr Mann Gustav Gründgens eine zweifelhafte Rolle während der Nazi -Zeit. „Ich habe mich hoffentlich bisher nicht opportunistisch verhalten, aber ich war auch nie in wirklicher Gefahr.“ Ob er in einer ähnlichen Situation mit seiner Burgtheatertruppe den offenen Krieg wagen würde - da ist er sich nicht so sicher.

chp