Polnischer Wahlkampf sprengt politische Lager

Für die ersten pluralistischen Wahlen in einem kommunistischen Land kommt Wahlkampfstimmung auf / Am 4.Juni werden 35 Prozent der Abgeordneten des Sejm neu gewählt / Die Abgeordneten des Senats werden vom Volk bestimmt  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„Einen schönen guten Tag, Sie gestatten, daß ich mich vorstelle, ich heiße Adam F.Wojciechowski und kandidiere für den Senat. Wenn Sie meine Kandidatur unterstützen wollen, können Sie hier unterschreiben und in diese Box eine kleine Wahlkampfspende werfen.“ Adam F.Wojciechowski steht zur Zeit täglich vor dem Haupteingang der Universität Warschau und verteilt dort seine Aufrufe und Flugblätter für die Wahlen, die am 4.Juni in Polen stattfinden werden. Er ist einer jener „Vogelfreien“, die außerhalb der bekannten Oppositions - und Regierungsstrukturen kandidieren, wenn auch mit einem ausgesprochen oppositionellen Anstrich. Wojciechowski gehört einer informellen Gruppe an, die schon vor Beginn des „runden Tisches“ freie Wahlen gefordert hatte und nun mit dieser einzigen Forderung in den Wahlkampf zieht. „Ich verspreche meinen Wählern“, heißt es in dem Aufruf, „daß ich als Senator keinen Kandidaten zum Präsidenten wählen werde, der irgendeine Verantwortung für die Einführung des Kriegsrechtes trägt.“ Dieser gegen General Jaruzelski gerichtete Punkt ist es denn auch, der Wojciechowski von anderen „Oppositionellen“ unterscheidet. Zur Opposition zu gehören ist seit Beginn des Wahlkampfes selbst unter denen zur Mode geworden, die diese Bezeichnung selbst beim bestem Willen nicht verdienen.

Neue Etikette

Selbst Ex-Regierungssprecher Jerzy Urban tritt nun als „unabhängiger Kandidat“ an. In einem „Brief an die Wähler“, den die Parteizeitung 'Zycie Warszawy‘ abdruckte, stilisiert er sich gar zum politisch Verfolgten. Nachdem parteinahe Meinungsforscher durchsickern ließen, die Opposition könne bei den völlig freien Wahlen zum Senat auf mindestens 40 Prozent der Sitze rechnen, geht nun auch die Partei dazu über, ihren Kandidaten ein „oppositionelles Image“ zu verschaffen. Die PVAP, so versicherte ihr Sprecher Jan Bysztyga, verzichte auf eine zentrale Wahlkampfleitung und werde auch keine Kandidaten - wie Solidarnosc das tut - von Warschau in die Provinz delegieren. Die Kandidaten sollen ihren eigenen Wahlkampf führen, mit lokalen Büros und eigenen Programmen, nur materiell unterstützt von der Partei und ihrem Wahlkampffonds. Offenbar rechnet die Parteiführung damit, daß die Chancen der Kandidaten um so mehr steigen, je weniger sie mit der PVAP identifiziert werden.

Um die Unterschiede zwischen unabhängigen Kandidaten und Parteivertretern noch weiter zu verwischen, will die Partei auch Parteilose, regierungsnahe Katholiken und Kandidaten der Koalitionsparteien unterstützen. Der Wähler hat da mehr denn je die Qual der Wahl, wenn er in der Wahlkabine steht. Denn auf den Stimmzetteln wird nicht angegeben, für welche Vereinigung oder Partei ein Kandidat antritt. Hinzu kommt, daß auch PVAP-Mitglieder ohne den Segen der Parteispitze antreten können, es genügt, wenn sie die erforderlichen 3.000 Unterstützungserklärungen einsammeln. Sie müssen dann nur auf den Fonds der Partei verzichten und ihren Wahlkampf selbst finanzieren.

Der Krakauer Reformkommunist Hyyronim Kubiak, zugleich Mitglied des Zentralkomitees der PVAP, beobachtet eine deutliche Aufspaltung in den der Partei nahestehenden Gruppierungen. Früher habe es in Krakau nur den Klub der Reformkommunisten „Kuznica“ gegeben. Heute gebe es noch drei zusätzliche Klubs, alle außerhalb der Partei.

Differenzierung der Opposition

Eine ähnliche Differenzierung ist auch in der Opposition festzustellen. Sie geht inzwischen so weit, daß einzelne Gruppen auch Gegenkandidaten gegen die Leute von Lech Walesas Bürgerkomitee aufstellen. Offiziell beteiligt sich die Gewerkschaft Solidarnosc nicht an der Aufstellung der Kandidaten. Doch ist der Unterschied zwischen der Gewerkschaft und dem Bürgerkomitee zumindest im Erscheinungsbild weitestgehend verschwommen. Das Komitee, das von einem 1.000 Quadratmeter großen Büro gleich neben der staatlichen Presseagentur 'Interpress‘ aus dem Wahlkampf der konstruktiven Opposition koordiniert, hat inzwischen Konkurrenz von früheren Bundesgenossen bekommen. So kandidiert in Warschau der Rechtsanwalt Wladyslaw Sila -Nowicki gegen den Alt-Oppositionellen Jacek Kuron. Während Kuron mit Unterstützung Lech Walesas und des Bürgerkomitees kandidiert, tritt der bekannte Strafverteidiger aus politischen Prozessen als Vertreter der Christdemokratischen Partei auf. In Krakau indessen kandidierten Vertreter der Ökologenbewegung „Freiheit und Frieden“ (WIP) für das Bürgerkomitee gegen die National-Konservativen von der KPN. So will der Jurist Jan Maria Rokita, der als Rechtsberater für die Streikenden von Nowa Huta bekannt wurde, den Chef der „Konföderation unabhängiges Polen“ (KPN) um das Sejmmandat bringen. Wer von all den Oppositionskandidaten, „Freien“ und Parteimitgliedern schließlich das Rennen um die in freien Wahlen vergebenen Sejm- und Senatssitze machen wird, ist noch nicht abzusehen. Viele müssen noch ihre 3.000 Unterstützungsunterschriften einsammeln. Die sind erst die Grundlage dafür, als Kandidat offiziell registriert zu werden. Und noch einmal gesiebt wird dann in zwei Wahlgängen, nach französischem Vorbild. Nur die beiden Kandidaten eines Wahlkreises, die im ersten Durchgang die meisten Stimmen erhielten, treten dann in den Wettstreit um den Einzug in Sejm und Senat. Während manche der „Freischützen“ schon erklärt haben, im Zweifelsfalle zugunsten eines Kandidaten des Bürgerkomitees zurückzutreten, schließt KPN nicht aus, auch gegen das Komitee anzutreten, wenn es zu keiner Einigung kommt. Noch radikaler gebärden sich indessen die nach wie vor illegalen Gruppen der Sozialistischen Partei (PPS-RD) und die innergewerkschaftlichen Gegner der Walesa-Linie. So ruft etwa ein Teil der Warschauer Solidarnosc offen zum Bokott der Wahlen auf. Dem schließen sich auch die Gewerkschaftsdissidenten der „Kämpfenden Solidarnosc“ um Kornet Morawiecki an. Jene Gruppe von Walesa-Kritikern, die sich um Andrzej Gwiazdas „Arbeitsgruppe“ scharen, haben noch keinen gemeinsamen Standpunkt eingenommen. „Die meisten von uns rufen zum Boykott auf“, erklärt Gwiazda, „aber wenn jemand kandidieren will, ist das seine Privatsache“. Im allgemeinen Wahlfieber, das in Polen ausgebrochen ist, ist das aber die Position einer kleinen Minderheit, die kaum ein Echo in den Medien hat. Die Polen werden wählen gehen, schließlich hat auch die Kirche dazu aufgerufen.