Richterliche Frauenbilder

Memmingen: Nur „schwache“ und „hilflose“ Frauen haben Recht auf Notlagenindikation  ■  Von Gunhild Schöller

„Ab sofort sollten wir Schauspielkurse im Frauenzentrum einrichten! Damit die Frauen, die eine Notlagenindikation brauchen, wissen, wie sie sich verhalten müssen!“ Aufgebracht und mit einem guten Schuß Zynismus entfuhr einer engagierten Frau aus Memmingen dieser Kommentar nach der Verlesung des Urteils im Theissen-Prozeß. Ihr spontaner Einfall kam nicht von ungefähr. Denn der Memminger Landrichter Albert Barner stellte mit all den Einzelfällen, die er im Schnellverfahren herunterrasselte, eine klare Typologie auf. In welchen Fällen Frauen eine Notlage zugestanden wurde und in welchen Fällen nicht, hatte System.

Gut für eine Notlagenindikation ist, wenn die Frau „hilflos“, „aufgelöst“ oder „fix und fertig“ (jeweils Originalton des Vorsitzenden Richters Albert Barner) wirkt. Bei jungen Frauen, die den „Ausbruch in die Selbständigkeit“ wagten, ist es günstig, wenn sie - als Ausdruck ihrer Hilflosigkeit und ihres Scheiterns - nach der Abtreibung wieder zu den Eltern zurückziehen. Dann haben sie gute Chancen, daß ihre Notlagenindikation bei richterlicher Überprüfung im Nachhinein anerkannt wird.

Auch wenn eine Frau den Eindruck hinterläßt, „schwer angeschlagen“ zu sein, nur über eine „geringe Intelligenz“ zu verfügen, und in die Rolle „der Unschuld vom Lande, die nicht bis drei zählen kann“ schlüpft, wirkt sich das positiv auf die Indizierung einer Notlage aus. Die Richter gehen dann nämlich davon aus, daß sie so tumb und unbedarft wie sie vor Gericht wirkt, auch beim Arzt im Sessel saß und dieser deshalb im Rahmen seines Ermessens eine Notlage erkennen durfte.

Hat frau einen Ehegatten und muß dieser ebenfalls als Zeuge vor Gericht, empfiehlt sich ein klares Rollenkonzept. Ein prügelnder und „grenzenlos egoistischer“ Ehemann, der kein drittes Kind mehr will, ist gut für eine Notlagenindikation. Auch ein Mann, der bei Gericht den Eindruck hinterläßt, „ein Büffel“ zu sein, kann man nach dem Memminger Urteil nur empfehlen. Ist frau dagegen nicht verheiratet, sollte sie schwanger sein von einem „besoffenen Hausierer, der Hosenträger verkauft, kennengelernt in einer drittklassigen Gaststätte.“

Nur wenn eine Frau „ganz allein auf sich gestellt“ ist, darf der Arzt ihr eine Notlage zugestehen. Gibt es jedoch eine Mutter, Großmutter oder Tante, die das Kind betreuen könnte, ist eine Notlage nicht vorhanden. Wenn diese Frauen schon andere Enkelkinder betreuen, ist dies ein klares Indiz, daß sie grenzenlos mehr davon haben wollen.

Auf jeden Fall sollte frau den Eindruck vermeiden, eine „verwöhnte junge Frau“ zu sein, die „nur den Verlust des Arbeitsplatzes befürchtete“. In solch einem Fall ist eine Notlage ausgeschlossen und der Arzt, der sie trotzdem sah, muß dafür vier Monate in den Knast. In Baden-Württemberg zu wohnen, ist ebenfalls nicht empfehlenswert, denn im Land der sauberen Schwaben bekommt eine junge Mutter so viel Unterstützung aus diversen Stiftungen, daß es eine Notlage nie und nimmer geben kann.

„Zart besaitet“, „sensibel“, „hilflos“ und „konstitutionell zierlich“ muß die Frau also wirken, die nach dem Urteil von Memmingen eine Notlagenindikation haben will, die richterlicher Überprüfung standhält. Ist sie dagegen selbstbewußt und emanzipiert, ist sie stark genug, ein Kind zu bekommen und aufzuziehen. Jederzeit, auch gegen ihren Willen.