„Ich schäme mich für die GdP“

■ Interview mit Klaus Hübner, 18 Jahre lang sozialdemokratischer Polizeipräsident, zum Streit zwischen Innensenator und Polizei / Einsatzkonzept zum 1.Mai war im Prinzip richtig / Indiskretionen der Gewerkschaft der Polizei „ganz schrecklich“

taz: Herr Hübner, Sie waren 18 Jahre lang Polizeipräsident in Berlin. Was hätten Sie denn am 1. Mai gemacht, wenn Sie Polizeipräsident unter einem rot-grünen Senat gewesen wären?

Klaus Hübner: Ich hätte gar nichts anders gemacht. Ich hätte vielleicht ein bißchen stärker damit gerechnet, daß es zu dieser Randale kommen wird. Ich hätte das mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet, und zwar einfach aufgrund meiner 18jährigen Erfahrung. Als sich die Studentenrebellion zur APO transformierte, ging ein Teil in den puren Terrorismus. Jetzt, nachdem sich das wieder so ein bißchen kanalisiert und politisiert hatte unter dem, was man so im weitesten Sinne AL und AL-Szene nennen kann, da konnten natürlich diejenigen, die am unterem Ende sitzengeblieben sind, als nun ihre Wortführer zu den „Bonzen“, wie sie sagen, übergelaufen sind - das nicht einfach so hinnehmen und verkraften. Bloß, sie haben eine andere Qualität, sie haben nicht mehr die Logistik und, ich möchte mal sagen, auch nicht den Intellekt, einen Terrorismus aufzubauen, sie praktizieren einfach einen chaotischen Anarchismus, ohne zu wissen, was politisch Anarchismus überhaupt bedeutet, so eine Art: „Keine Gewalt für niemand“, Staatsgewalt für niemanden, meine ich.

Es ist nun ein Streit darüber entbrannt, wieviele politische Vorgaben ein Senator machen kann und wieviel Ermessensspielraum ein Polizeipräsident hat. Sie haben ja immer sehr deutlich gemacht, daß Sie selbständig agieren wollen, haben sich selbst als politisch denkenden Polizeipräsidenten definiert und sind nicht zuletzt deshalb zurückgetreten, weil es Differenzen zwischen Ihnen und Herrn Kewenig gab. Wie sehen Sie das Verhältnis?

Es muß ein wechselseitiges Verhältnis sein. Politische Vorgaben sind natürlich wichtig. Ohne politische Vorgaben gibt es auch keine Zielrichtung. Und wenn man sich dann mit seinem fachlich-sicherheitspolitischen Rat als Gebender und Nehmender dazusetzt, dann muß man natürlich genau eine Grenze halten zwischen der puren Politik und dem, was Vollzug ist. Das entspricht ja auch dem Drei-Gewalten -Prinzip. Die Politik darf nicht unmittelbar in den Vollzug eingreifen. Das scheint mir aber auch nicht der Fall zu sein. Da scheint es viel Mißverständnis gegeben zu haben, und darum auch die Irritationen bei der Polizei. Die Polizeiführung hat 18 Jahre bei mir gelernt, daß man differenzieren muß, daß man weder Feindbilder annehmen darf, noch sich selbst zum Feindbild machen lassen darf. Die Polizei selbst ist von mir immer moderat geführt worden ist, denn ein Apparat, der das Gewaltmonopol hat, wenn der nicht moderiert wird, dann kommt der in ein falsches Fahrwasser. Nun kamen Müllenbrock und Diepgen und Kewenig.

Es hat auch von der Polizei Kritik am Einsatz gegeben. Die Gewerkschaft der Polizei geht heute auf die Straße und zwar mehr oder weniger explizit gegen das Konzept vom 1.Mai. Was muß denn ein Innensenator tun, damit solch eine Konzeption von der Polizei akzeptiert wird?

Bei der GdP ist es das alte Gewerkschaftsprinzip. Wenn die Basis unzufrieden ist, dann müssen die Funktionäre irgendwie die Muskeln spielen lassen. Die stehen also unter dem Druck ihrer, ich sag es jetzt mal, gepeinigten Basis. Das Ulkige ist ja auch immer wieder, das ist auch meine Berufs- und Lebenserfahrung, je weiter einer weg von den Ereignissen war, desto stärker konturiert er sie. Und dann kommt natürlich noch dieser schreckliche Franke dazu mit seiner Scheingewerkschaft, der rechts von den REPs steht, der ist natürlich auch eine Einrichtung, die die GdP fürchtet, weil sie denken, daß ihre Mitglieder dahin schwenken.

Die GdP hat ja auch durch eine gezielte Indiskretion an die Springer-Presse...

Ja, das finde ich ganz schrecklich. Das finde ich so schrecklich, daß ich mich dafür schäme, einer der Gründer dieser Gewerkschaft zu sein.

Meinen Sie, daß Herr Pätzold den Apparat in den Griff kriegen wird?

Ich wünsche es ihm von ganzem Herzen. Er muß sich davor hüten, etwa bei der Polizei jetzt das Bewußtsein entstehen zu lassen, nach der harten Welle kommt jetzt wieder eine weiche Welle, das muß in den Köpfen nur Verwirrung stiften auf beiden Seiten wohlgemerkt.

Es geht ja weiter mit Demonstrationen in Berlin. Es steht der Besuch des amerikanischen Präsidenten Bush ins Haus und damit sicherlich auch eine größere Demonstration. Werden denn Innensenator und/oder Polizeipräsident noch einen Einsatz dieser Art politisch überleben?

Ich hoffe es doch sehr. (Lacht) Man wird doch eine ganze Menge gelernt haben. Beim Besuch von Haig, da war ja auch eine Demonstration angekündigt, die Krawall bringen sollte, und dagegen hat dann die linke besonnene Szene am Vortage eine Demonstration, ich glaube, mit 25.000, 30.000 Leuten gemacht, die betont friedlich war. Ich hoffe, daß man da irgendwie ein Zeichen setzen wird: Wir sind unzufrieden, aber wir zeigen es gewaltfrei. Da liegt eine ganz große Chance drin.

Gilt das auch für die Hungerstreik-Demos, die in nächster Zeit anstehen?

Naja, das ist sehr viel schwieriger, weil es da ideologische Verhärtungen gibt und weil die Politik da gar keine Vorgaben gibt. Da ist ja die politische Mitte total unterschiedlicher Meinung.

Wie sehen Sie denn die Rolle der AL im Moment?

Die zögernde Distanzierung von Gewalt wird sicher die Hoffnung zerstören, wenn Gewalt zur Randale, zum Massenereignis wird, daß man das noch irgendwie politisch dosieren, besser gesagt, kontrollieren könnte. Die Illusion sollte man sich nicht machen. Wenn man in der Scheune mit dem Streichholz spielt, dann kann man nicht sagen, ich habe nicht gewollt, daß die abbrennt. Die AL war ja angetreten als außerparlamentarische Kraft. Und jetzt den Sprung nicht nur ins Parlament, sondern auch in die verantwortliche Regierung zu machen, aus einem revolutionärem Bewußtsein in die Evolution umzulenken, das ist so, als ob man ein Schiff auf hoher See umrüsten will. Die sind jetzt in starkem Seegang. Wie sie es schaffen, weiß ich nicht, und welche Kraft und welche Strömung sich da durchsetzen wird, weiß ich auch nicht. Jedenfalls ist da die Kluft zwischen der akademischen und anstudierten Spitze und denen, die auf der anderen Seite stehen und deren Vokabular sich in „Ey, Mann“ erschöpft. Diesen Spagat, da weiß ich nicht, wie sie den schaffen wollen. Aber mit den chaotischen Anarchisten werden sie sich nicht solidarisieren können. Das enthebt sie nicht, sich um sie zu kümmern. Man kann nicht sagen, na schön, jetzt schreiben wir sie auch ab. Das können sie nicht tun, denn sie stehen geistig an der Wurzel dessen. Da ist überhaupt nichts dran zu leugnen.

Interview: Rita Hermanns