Verzeichnete Welt

■ Eine Ausstellung über Kunst, Technik und Design in Basel

Reinhold Urmetzer

Es gibt neu geprägte oder neu verwendete Worte, die blitzartig wichtige Strömungen der Zeit erfassen und erhellen können. „Postmoderne“ beispielsweise, mittlerweile ein abgegriffener und willkürlich benutzter Terminus, war ein solcher Begriff. Statt dessen wird jetzt von der „nach -amerikanischen Zeit“, dem „nach-amerikanischen Zeitalter“ geredet. Das Museum für Gestaltung in Basel hat zusammen mit dem Folkwang-Museum und der Hochschule Essen nun einen anderen interessanten Begriff ausgegraben: „Verzeichnung“ Der verzeichnete Prometheus heißt eine neuartige und den Nerv der Zeit treffende Ausstellung in Basel.

Ganz erschlagen von der ungewohnt heterogenen Zusammenstellung der Exponate, die Inhalte und „Übergangsschwierigkeiten“ zwischen Kunst, Design und Technik thematisieren wollen („Zeichen verändern die Wirklichkeit“, so lautet das Motto), hat sich der Berichterstatter erst einmal mühsam und mit Hilfe des essaygespickten Katalogs einen Überblick zu verschaffen versucht. Gleich zu Beginn ein Raum voller Vitrinen mit Vasen, Kannen und anderen Designgegenständen. In einem zweiten flimmern Videorekorder und Bildplatten. Streng geometrische Zeichnungen hängen neben einem Dada-Environment und amerikanischer Pop-Art.

Der schon etwas ältere Aufseher der Museumsräume sitzt wie ein Kunstwerk auf dem Enduro-Racer, einem Computerspielgerät, und er bemüht sich immer wieder vergeblich, blitzschnell Straßensperren zu umfahren. Ich versuche, mir in der Zwischenzeit einen Reim darauf zu machen, wie der geflochtene Weidenrutenkorb mit den historischen Glasverzierungen, den Computergrafiken und dem „Mentor„-Roboter in Verbindung gebracht werden könnte.

Prometheus, das erfahre ich sonach und nach, wird von den Ausstellungsmachern aus Basel und Essen als der mythische Urahn des Erfindens, Entwerfens und Gestaltens, der kulturellen Entwicklung schlechthin angesehen (die für die Kunst zuständigen Götter werden großzügig übersehen). Mit dem Begriff „verzeichnet“ soll darauf hingewiesen werden, daß der gestalterische Originalitätsbegriff immer fragwürdiger wird und die Zeichenhaftigkeit der Gegenstände in den Vordergrund rückt. Nicht mehr mit Objekten in der Wirklichkeit, sondern nur noch mit Zeichen von Objekten stehen wir in Kontakt.

Als Beispiel wird in der Ausstellung der Bildschirm demonstriert (und ebenso die Bildplatte), der sich mit seinen Zeichen immer mehr zwischen den Betrachter und die wirkliche Welt schiebt. Realität werde vor allem in der Mikroelektronik immer „vermittelter“ nur noch wahrgenommen („entmaterialisiert“), behaupten die Ausstellungsmacher, und dies wird als der vorerst letzte Schritt angesehen auf dem Weg „vom Objekt zum Zeichen des Objekts“.

Die Verselbständigung der Zeichen bedeutet aber auch Verselbständigung des Formalen, die Ablösung von Zweck, Funktion oder Gebrauch, die Verselbständigung der Gestaltungsformen. Diese würden immer willkürlicher aus einem Bereich in einen anderen übertragen ohne Berücksichtigung des Kontextes, sie sind weniger praktisch als zeichenhaft definiert. Der Gebrauch bestimmt also nicht mehr die Form, sondern die Form den Gebrauch.

Die Ausstellung wirft eine Fülle künstlerischer, technischer und gestalterischer Fragen auf, meist aus dem Blickwinkel und in der Sprache des Designs betrachtet. Als Beispiel für die Auseinandersetzung von Kunst und Technik, auch von Kunst und Maschine wird El Lissitzkys „Proun„-Mappe von 1921 vorgestellt. Ebenso angeführt werden gegen -technische Tendenzen, die sich dem rigiden Zweckrationalismus der Bauhauszeit durch Spiel, Zufall oder „Irrationalität“ zu entziehen suchten: Duchamps „Junggesellenmaschine“ etwa oder sein „Großes Glas“, Tinguelys wildgewordene Maschinenkonstruktionen oder dadaistische Zeichnungen von Max Ernst.

Auch die etwas jüngere Ironisierung der einseitig funktionsgebundenen, auf Massengebrauch (und Massengewinn) ausgerichteten Gewerbekunst durch die Pop-Art, die Massenobjekt und Kunstprodukt gleichzusetzen versuchte (Warhols bemalte „Brillo„-Box etwa oder seine Serigraphien), wird dokumentiert. Pop ist als eine Variante der Concept-Art jedoch nur solange Kunst, wie das Bewußtsein und das bewußte Kunstmachen-Wollen dahinter stehen. Die Küchengabel im Schrank oder das Pissoir werden nur dann zur Kunst, wenn der „Künstler“ sie dazu erklärt und als „Kunst“ be-zeichnet. Die Popmusikmassenproduktion hingegen unterscheidet sich nur unwesentlich von den Spielarten des Hamburger-Geschäfts.

In einer weiteren „Station“ (zwölf sind es insgesamt) nähert sich die Ausstellung auch den „Immaterialitäten“, wie sie von Lyotard in Paris spektakulär in Szene gesetzt worden sind. Dorothee von Windheim macht mit ihren „Gesichtstüchern“ ebenso wie Wolf Hubers „Schweißtuch -Christi„-Version auf Bildplatte Kunst über Kunstgeschichte. Historisches wird hier zum Vorbild oder als Zitat genommen und imitiert, wobei die Vorbilder meist in einem anderen Material oder Bereich wieder auftauchen. Auch der physikalische Versuch, unsichtbare Energie am Beispiel fraktaler Geometrien mittels Computergrafik sichtbar werden zu lassen, zeigt den avancierten Stand von Ausstellung und Konzeption.

Wie problematisch unsere Wirklichkeitsvorstellungen durch solche „Verzeichnungen“ tatsächlich geworden sind - selbst die „technische Verschärfung des Sehens“ etwa durch Photographie hilft gerade nicht aus diesem Dilemma heraus, sondern verstärkt es nur -, das zeigen die beiden letzten Stationen der Ausstellung. Gerade die Simulation von Wirklichkeit mittels Computer oder Photographie entfernt und distanziert uns von der Wirklichkeit. Am Ende, etwa im Videoclip, steht schließlich die „Überzeichnung“ und Formüberfrachtung als letztes Stadium der Verzeichnung: kommunikationstechnisch bleibt sie ohne Aussage und weitgehend unverständlich. Überinformation wird zum Informationsverlust, das sogenannte „Rosa Rauschen“ markiert einen Endpunkt in unserer Wahrnehmung von Wirklichkeit.

Vielleicht sollten wir tatsächlich die abendlichen Nachrichtensendungen, sofern man nicht selbst an den Geschehnissen beteiligt ist, als eine Form von „Rosa Rauschen“ auffassen: Verzeichnet und fiktional sind ihre Bilder und Berichte aus der Welt wie jedes andere „prometheische Artefakt“ im Spannungsbereich von Technik und Design nur noch desinformativ - und ein Knopfdruck genügt nicht mehr, sich aus dieser Wirklichkeit auszuklinken.

Die Ausstellungsreise durch die Welt mit „zuviel prometheischem Feuer“ macht am Ende noch einen kleinen ironischen Schwenk: Prometheus wird nicht mehr als der erste Erfinder und Gestalter, sondern nur noch als der erste Plagiator der Kulturgeschichte gesehen. Das Feuer hat er nämlich nicht erfunden, sondern nur den Göttern gestohlen. Kafka hingegen, so ist im Katalog nachzulesen, bevorzugt den düsteren, verlassenen Halbgott: Die Götter und die Adler der Weltgeschichte, sie hätten Prometheus ganz vergessen, und dieser sich schließlich auch. Alle seien des „grundlos Gewordenen“ müde geworden. „Die Götter wurden müde, die Adler wurden müde, die Wunde schloß sich müde“, schreibt Kafka. Kein Land mehr und nirgends. Nur Wort-Zeichen und Verzeichnetes.

Der verzeichnete Prometheus, Museum für Gestaltung, Basel (bis 21.Mai). Katalog Fr.28,-