Atomgemeinde streitet über Wackersdorf

Zum Auftakt der „Jahrestagung Kerntechnik“ schimpfen die Reaktorbauer über die Wackersdorfdissidenten in der Stromwirtschaft / In der Sache gibt es kaum noch Widerspruch gegen Wiederaufarbeitung in La Hague / Norbert Blüm als „Demonstrant“ dabei  ■  Von Gerd Rosenkranz

Düsseldorf (taz) - „Jahrestagung Kerntechnik 89 spalten“, forderten etwa 50 AKW-GegnerInnen gestern morgen lautstark vor den Absperrungen des Düsseldorfer Messezentrums, in dem die Atomgemeinde zu ihrem jährlichen Hauptgottesdienst zusammenkam. Drinnen im Saal war die Spaltung entlang der Wackersdorffrage bereits vollzogen. Der Spalter allerdings, Veba-Chef Rudolf von Bennigsen-Foerder, hatte den kurzen Weg aus der Düsseldorfer Konzernzentrale ins Messezentrum nicht gefunden.

Bereits die Eröffnungssitzung mit knapp tausend Teilnehmern und einer Handvoll Teilnehmerinnen stand ganz im Zeichen des bevorstehenden Ausstiegs aus der WAA-Wackersdorf. Claus Berke, Vorsitzender der in der „Kerntechnischen Gesellschaft“ (KTG) zusammengeschlossenen Reaktorbauer, beklagte sich bitter über den handstreichartigen Coup der Veba. Mit dem Deal, bundesdeutsche Brennelemente im französischen La Hague aufarbeiten zu lassen, und der Reaktion der Politiker seien „innerhalb weniger Tage Grundsätze der Kernenergieentwicklung in der BRD in Frage gestellt, die über Jahrzehnte Basis der Entscheidungen in Politik, Forschung und Wirtschaft gewesen sind“. Der Verzicht auf eine kommerzielle Wiederaufarbeitung in der Bundesrepublik sei zwar geeignet, „manche Sorge“ der AKW -Betreiber zu erledigen, meinte Berke, die Kerntechniker müßten dagegen um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze fürchten. Die „auf dem Gebiet der Wiederaufarbeitung tätigen Menschen“ hätten sich „eine sichtbare Einbeziehung auch ihrer Interessen in den Entscheidungsprozeß gewünscht“, kritisierte der KTG-Vorsitzende. Trotz alledem werde man sich „rational begründeten Entscheidungen nicht verweigern“.

Auch ein Vertreter der Stromwirtschaft, der stellvertretende Bayernwerk-Chef Jochen Holzer, sinnierte über den „höchst unglücklichen dramaturgischen Ablauf der Dinge“. Der habe schließlich nicht nur die Reaktorbauer verunsichert, sondern auch zwischen Elektrizitätswirtschaft und Politik eine „Vertrauenskrise“ ausgelöst. Manche Atomkraftbefürworter hätten den Veba-Vorstoß „als Verrat an der eigenen Sache, ja als Generalangriff auf die Kernenergie schlechthin“ verstanden. Dennoch war sich Holzer sicher, daß man auf Dauer an der französischen Offerte sowieso nicht vorbeigekommen wäre.

Nicht die Spur einer Vertrauenskrise zwischen Politik und Atomgemeinde vermittelte allerdings der Auftritt von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der ausdrücklich „aus Demonstrationsgründen“ vor der Versammlung erschienen war. Als nordrhein-westfälischer Landesvorsitzender der CDU betete Demonstrant Blüm die Parole von der gegenseitigen Abhängigkeit von Kohle und Atomenergie herunter. Mit Blick auf die Wackersdorfdiskussion warnte Blüm allerdings vor einer Energiepolitik, „die sich nur an den Kosten ausrichtet“. Eine solche Haltung der Stromwirtschaft könne auch „den Tod der Kohle“ bedeuten. Der Hochtemperaturreaktor THTR300 darf nach Auffassung von Blüm nicht „Augenblicksüberlegungen“ geopfert werden.

Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Jochimsen (SPD) forderte in seinem Grußwort eine „aufrichtige“ Diskussion über die Atomenergie. Nachdrücklich wiederholte der Minister die SPD-Forderung nach einer direkten Endlagerung. Der Verzicht auf Wackersdorf und auf den Schnellen Brüter in Kalkar wäre „ein Schritt in Richtung auf einen neuen Konsens in der Energiepolitik der Bundesrepublik“. Die bevorstehende Wiederinbetriebnahme des defekten Hochtemperaturreaktors THTR300 feierte Jochimsen als „exemplarische Bewältigung eines sehr schweren Problems“.