Zwangsarbeiter trifft Wächter

■ Ehemalige sowjetische Zwangsarbeiter nach 40 Jahren wieder in Bremen / In Oslebshauser Kirchengemeinde trafen sie mit einem Wachsoldaten zusammen

Zehn Tage waren Wladimir und Dina Trebuschnoj dort, wo sie als „Untermenschen“ vor mehr als 40 Jahren „durch Arbeit vernichtet“ werden sollten (wir berichteten). Die Trebuschnojs sind gläubige Christen. Wladimir wurde es erst hier in Bremen: Nachdem er „wie durch ein Wunder“ die Zeit als Zwangsarbeiter im Bremer Hafen überlebt hatte, ließ Wladimir Trebuschnoj sich 1945 in Bremen taufen, und er lernte auch

hier in den drei Monaten Wartezeit zwischen Kriegsende und der Rückkehr in die sowjetische Heimat seine spätere Frau Dina kennen.

Jetzt wird ihre Rückkehr in die Sowjetunion heiß erwartet, zum Beispiel von ihren 13 Kindern und 21 Enkeln, die wissen wollen, wie ihre Eltern in der Bundesrepublik empfangen wurden. Vom „Empfang“ im stalinistischen Rußland nach '45 wissen sie bereits - aus einer Dokumentation, die ihre Eltern seit fünf Jahren über ihre Zeit der Zwangsverschleppung nach Bremen für sie schreiben.

Am Dienstag schauten alte wie junge BremerInnen auf die Trebuschnojs, in der Schlußveranstaltung ihres Besuchs und hörten Dinas wohlgesetzte deutsche Worte, die sie aus ihrer Zeit als Fremdarbeiterin auf einem Bauernhof bei Bremen über 40 Jahre

lang im Gedächtnis behalten hatte.

Eine Aufforderung an alle versammelten Christen sprach sie aus, dem Haß künftig vorzubeugen. „Wir haben vergeben, vergessen können wir nicht“. Wie tief die Narben des Erlebten sitzen, zeigte sich, als Wladimir Trebuschnoj den Lagerschuppen im Holz- und Fabrikenhafen besuchte, in dem er mit 1.100 anderen Verschleppten zwei Jahre lang zusammengepfercht war: Wladimir hatte während des Ortstermins und am Tag danach heftige Herzbeschwerden zu be

kämpfen.

„Herr Trebuschnoj mußte zum Arzt an diesem Abend“, und selbst dafür gebe es in dieser Stadt keine Mittel, legte Pastor Hartmut Drewes den Finger auf eine der Wunden: Kein Finanztopf ist bundesweit anzuzapfen für die

Zwangsarbeiter, mit deren nie bezahlter Arbeitskraft sich Firmen und letztlich auch die Kirchen bereichert hatten. Bürgermeister Henning Scherf forderte deshalb vehement eine „Entschädigung“ oder zumindest eine Art Entlohnung für die verschleppten Zwangsarbeiter. Auch in ihrem Heimatland standen die Geächteten übrigens nach der Rückkehr allein: Im Stalinismus als Verräter betrachtet, durften sie in den vermeintlichen Hauptstädten nicht leben; statt Eingliederungshilfen für die in Deutschland mißhandelten Menschen zu bieten, zog das Regime Wladimir Trebuschnoj zuerst einmal für einige Jahre zum Dienst in der Armee heran.

Helmut Peters, inzwischen Mitglied beim Bund der Antifaschisten in Bremen, war 1942 als 18jähriger wachhabender Soldat des Admiral Brommy-Lagers, ein Jahr bevor Trebuschnoj dort landete. Peters bestätigte den menschenunwürdigen Lageralltag, die für Zwangsarbeiter schutzlosen Bombenangriffe, und vor allem: die Verleumdungen durch den Propaganda-Apparat.

„Das waren ja gar keine Analphabeten“, schildert er seine ersten Erkenntnisse aus der Arbeit im Lager, die seinem bis dahin geltenden Ausländerbild widersprachen. „Manche, die deutsch sprachen, fragten mich nach Nietzsche, nach Kant, nach Gedichten von Goethe und Schiller: Da mußte ich ihnen den Rücken zudrehen und sehen, daß ich wegkomme, um mich nicht zu blamieren“.

Schwer fiel es dem Mann, von seiner Zeit als Bewacher zu reden. Tröstliche Redehilfe war es da, von den kleinen positiven Erinnerungen zu sprechen: daß man schon mal Kartoffeln oder Brot beim „Filzen“ mit durchgehen ließ, wenn es niemand beobachten konnte. Peters begann, verbotene Bücher zu lesen und, so erzählt er es heute, zu lernen, daß „alle Menschen gleich sind.“

Helmut Peters zeigte sich bei dem Zusammentreffen in der Kirchengemeinde beschämt, daß „diese Menschen uns überhaupt noch eine Hand reichen“ und wünschte sich, „bei uns den Haß zu beenden“.

ra