Mord wider Willen

■ Mutter im Vollrausch getötet / Schwurgericht verurteilte zu viereinhalb Jahren

Michael S. hat seine Mutter erwürgt. Das Geständnis liegt vor. Er hat unmittelbar nach der Tat im November vergangenen Jahres einen Bekannten - Freunde hatte er nicht - aufgesucht und ihn gebeten, die Polizei zu holen. Er ist bemüht, dem Vorsitzenden Richter bei der Beweisaufnahme so weit behilflich zu sein, wie es sein Erinnerungsvermögen zuläßt. Das mutet manchmal wie eine übertriebene Unterwürfigkeit an und mündet in kuriose Dialoge.

Der 36jährige Angeklagte ist kein Schläger und erst recht keiner, der seine eigene Mutter umbringt. „Der Mord ist ihm persönlichkeitsfremd“, bestätigt später der psychiatrische Gutachter vor Gericht. Warum erwürgt einer eine 62jährige Frau, von der er selber sagt: „Meine Mutter war eigentlich das einzigste, was ich noch hatte.“

Eine diffuse Bindung hat zwischen Mutter und Sohn bestanden, keiner von beiden wollte sie lösen und konnte sie ordnen. Ihre soziale Situation hat sie darüber hinaus zu einer räumlichen Enge gezwungen, der beide nicht gewachsen waren. Der Sohn, der laut Gutachter „eine anlagemäßige Neigung zu mehr passiv-depressiver Stimmung“ hat, seit 1977 ein beachtliches Vorstrafenregister wegen kleinerer Delikte angehäuft hat, der reichhaltige Erfahrungen mit Drogengebrauch und Alkoholmißbrauch vorweisen kann und selten Gelegenheitsarbeit findet, der zieht mit 35 Jahren wieder zu seiner Mutter, „übergangsweise“, weil ihm Geld für die eigene Wohnung fehlt. Zu einer Mutter, der er schon seit längerem das Einkaufen und Putzen abnimmt, weil sie nicht mehr vor die Tür geht. Die er bemitleidet, weil sie Alkoholikerin ist, der er aber immer wieder neuen Stoff besorgt, „weil sie mich so angefleht hat“. Zu einer Mutter, die ihn manchmal „genervt“ und „wütend“ gemacht hat, weil sie sich mit zunehmendem Schnapsverzehr in wahnhafte Vorstellungen hineinsteigerte, die sie dann in stupiden Wiederholungen herausschrie.

Auch am Tatabend scheint es so gewesen zu sein. Dreieinhalb Flaschen Schnaps und Rum haben Mutter und Sohn seit dem Frühstück gemeinsam geleert. Die Autopsie ergibt später einen Blutalkoholwert von 2,7 Promille bei ihr. Michael S. bekommt einen auf die Tatzeit hochgerechneten Wert von 3,3 Promille zugestanden.„Ich glaube, ich wollte ihr den Mund zuhalten, weil sie so am Rumschreien war. Da war mir nicht so bewußt, daß ich sie am Hals hatte“, lautet heute seine Schilderung. „Ich kann das eigentlich nicht glauben, daß das passiert ist“, sagt er mit der ewig gleichen weinerlichen Stimme und gesenktem Blick.

Michael S. wurde wegen „vorsätzlichem Vollrausch“ zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Gericht erkannte auf „erheblich verminderte Schuldfähigkeit“.

anh