Der alte Geist in den Gemäuern

■ Die Wissenschaftsverwaltung und die Perspektive für rot-grüne Reformpolitik: Die Macht haben die Reformgegner Der konservative Geist in den Gemäuern in der Bredtschneiderstraße

Als frischgebackener Wissenschaftssenator hatte selbst George Turner noch angekündigt, er werde sich für die Autonomie der Hochschulen einsetzen. Drei Jahre später, als er seinen Senatorenstuhl räumen mußte, war die Hochschulautonomie heruntergewirtschaftet wie noch nie in der Nachkriegsgeschichte. Das lag nicht nur an Turners sprichwörtlicher Unfähigkeit, mindestens ebenso sehr hatten seine Beamten dafür gesorgt.

Diese haben in den vergangenen Jahren einen regelrechten Kleinkrieg gegen die Selbstverwaltung der Hochschulen geführt, haben dem Senator ins Ohr geflüstert, sich bei Berufungen über den Willen der betroffenen Fachbereiche hinwegzusetzen, haben Stellenbesetzungen verschleppt, vereitelt, vom Wohlverhalten der Institute abhängig gemacht oder haben immer wieder oberlehrerhaft Studien- und Prüfungsordnungen zur „Nachbesserung“ an die Fachbereiche zurückgewiesen.

Im Stil nichts geändert

Einen Monat nachdem Barbara Riedmüller-Seel die Turner -Nachfolge angetreten hatte, stellte FU-Vizepräsident Hellmuth Bütow verblüfft fest, daß sich im Wissenschaftssenat auch unter rot-grüner Fahne zumindest im Stil wenig geändert hat. Als er lautstark gegen eine Entscheidung der Senatorin protestierte, fauchte ihn einer ihrer leitenden Beamten an: Das haben wir so entschieden, fertig.

Kein Wunder, daß der FU-Vize in dieser Weise abgefertigt wurde: Nach acht Jahren CDU-Herrschaft hatte es die Wissenschaftsverwaltung nicht mehr nötig, ihre einsamen Entscheidungen gegenüber den Universitäten argumentativ zu rechtfertigen - geschweige denn sie vorher mit den Betroffenen abzustimmen. Regiert wurde nach der Devise „Friß oder stirb“.

Dieser Geist sitzt fest in den Gemäuern der Wissenschaftsverwaltung in der Bredtschneiderstraße. Dafür haben Riedmüller-Seels Vorgänger Turner und Kewenig gesorgt. Keine Verwaltung ist unter der CDU-Herrschaft so rücksichtslos gewendet worden wie die Wissenschaftsverwaltung. Systematisch hat Kewenig die Beamten entmachtet, die seiner konservativen Gegenreform an den Universitäten im Wege standen. Ebenso systematisch hat er vier Beamte, die seiner Politik bedingungslos Gefolgschaft leisteten, an die Verwaltungsspitze gehievt von den Befugnissen und den Gehaltsstufen her weit abgehoben vom „Fußvolk“ der Wissenschaftsbeamten. Diese vier sind als „KEKS-Gruppe“ bekannt geworden: „KEKS“ nach den Anfangsbuchstaben ihrer Namen Kempa, Eckey, Kleber und Strehl.

Die KEKS-Gruppe regiert

Peter Michael Kempa, als Leiter der Hochschulabteilung mächtigster Mann in der Wissenschaftsverwaltung, bis zu seinem plötzlichen Aufstieg unter Kewenig noch SPD-Mitglied, sorgte dafür, daß bis in den wissenschaftlichen Mittelbau hinein linke Bewerber an den Berliner Universitäten wegen Verfassungsfeindlichkeit abgelehnt wurden. Bis heute ist Kempa (als Verantwortlicher für Berufungen) die Anlaufstelle für die rechtskonservative „Notgemeinschaft für eine Freie Universität“ (NoFU), die schwarze Listen über linke Studenten und Assistenten führt. Wenn Turner in den vergangenen Jahren Berufungen ablehnte, so hatte zum Teil Kempa dafür die Weichen gestellt. So im Fall einer hartnäckig (selbst gegen einen Gerichtsbeschluß) verweigerten Berufung an der Fachhochschule für Wirtschaft. Wie aus zuverlässiger Quelle zu erfahren war, hatte ein NoFU -Professor an der FHW bei Kempa gegen diese Berufung interveniert: Der Kandidat (ein Schering-Manager!) hatte in den siebziger Jahren als FU-Student auf einer gewerkschaftlich orienteriten Liste kandidiert.

Beamte haben loyal gegenüber ihren politisch wechselnden ChefInnen zu sein. Kempa habe damit nie Schwierigkeiten gehabt, urteilen seine Kollegen aus der Wissenschaftsverwaltung über ihn: Sorgfältig habe er darauf geachtet, daß er stets im Fahrwasser seines Vorgesetzten schwamm. Nur einer hatte Schwierigkeiten mit ihm und stutzte daher seinen Einfluß: SPD-Senator Peter Glotz. Dieser verlangte die Fähigkeit zu konzeptionellem Denken von seinen Beamten und nicht nur den Drang, die Unis zu schurigeln. Paradoxe Reformpolitik

Der rot-grünen Reformpolitik droht in der Wissenschaft das Paradox, daß sie sich auf eine Verwaltung stützt, in der die Macht genau bei den Männern konzentriert ist, die sich durch die Ausschaltung von Reformanhängern hochgedient haben. Bestes Beispiel ist das S der KEKS-Gruppe, Rüdiger Strehl.

Anfang der siebziger Jahre zählte er noch zu den linksradikalen Assistenten. Am linken Soziologie-Institut gab er Kapitalkurse. Als Beamter der Wissenschaftsverwaltung aber war er maßgeblich daran beteiligt, daß es Kewenig gelang, die FU-Verwaltung handstreichartig (mit der Teilung der Verwaltung) von den reformorientierten Beamten zu säubern. Strehl konnte sie um so gezielter entmachten, als er sie noch aus seiner Assistentenzeit kannte. Opfer seiner Säuberungen bescheinigen ihm, als kalter Technokrat geschickt und skrupellos die Machtentfaltung der Konservativen in der Bürokratie durchgesetzt zu haben. Bei zahlreichen FU-Angehörigen ist er wegen seines autoritären Stils der meist gehaßte Wissenschaftsbeamte.

Auch die Wissenschaftsverwaltung selbst ist durch die KEKS -Herrschaft entdemokratisiert worden. Vor allem im Hinblick auf die Informationsflüsse halten die KEKS-Herren (auch wenn sie sich untereinander mittlerweile nicht mehr grün sind) die Fäden in der Hand. Ihre Untergebenen im eigenen Haus haben sich durch jahrelange Verunsicherungen einschüchtern lassen.

Die paradoxe Situation für rot-grüne Reformvorhaben ist in den vergangenen Wochen bereits bei zwei Entscheidungen von Barbara Riedmüller-Seel deutlich geworden. Mit der Auflösung der Akademie beauftragte die Senatorin ausgerechnet einen Beamten, der unter Turner die Akademie maßgeblich mit aufgebaut hat! Und zur Ausarbeitung eines Entwurfs für das neue Hochschulgesetz setzte sie eine Kommission ein, die vom zweiten K der KEKS-Gruppe, dem Leitenden Senatsrat Kleber, geleitet wird - ausgerechnet jenem Mann, der das heftig umstrittene heutige Hochschulgesetz ausgearbeitet hat. Ihre Entscheidung verteidigt Riedmüller-Seel damit, daß Kleber sich doch an die rot-grünen Vorgaben zu halten habe. Rot -grüne Reformpolitik braucht jedoch mehr als nur die Loyalität konservativer Wende-Beamter, die sich aus Opportunitätsgründen (vorübergehend?) der neuen Linie anpassen.

Winfried Sträter