: Blutiges Ende eines Dialogversuchs
Im Baskenland hat eine neue Anschlagswelle eingesetzt / Seit dem Scheitern der Verhandlungen zwischen ETA und spanischer Regierung hat auch die staatliche Repression zugenommen / Auch auf der Straße schlägt die Stimmung um: hinter vorgehaltener Hand ertönt der Ruf nach der Todesstrafe für ETA-Attentäter ■ Aus Madrid Antje Bauer
„Hier liegen die Leute auf der Straße, und die ETA -Mitglieder führen in der Karibik ein schönes Leben“, empört sich die junge Frau in dem Madrider Kopierladen. „Unsereins schuftet und hat doch nie Geld, und die Regierung zahlt diesen Mördern noch 3.000 Peseten (45 DM) am Tag“, setzt sie nach. Die Umstehenden nicken zustimmend.
Seit dem Abbruch der Gespräche zwischen der ETA und der spanischen Regierung macht sich der Volkszorn wieder ungehemmt Luft. Seither haben zwei Menschen bei Anschlägen ihr Leben verloren, andere wurden durch Briefbomben verletzt, tagelang fuhren die Züge auf den spanischen Hauptstrecken nicht, weil die ETA entlang den Gleisen Bomben deponiert hatte. Auch die Repression hat wieder eingesetzt: einige ETA-Kommandos wurden in Spanien festgenommen, dem ETA -Führer Santi Potros wurde in Frankreich das politische Asyl entzogen, so daß er möglicherweise bald nach Spanien abgeschoben wird, und sechs Etarras wurden aus Algerien auf die Karibikinsel Santo Domingo geflogen.
In der Hoffnung, endlich das Problem der Gewalt im Baskenland loszuwerden, hatte die spanische Öffentlichkeit, hatten die Oppositionsparteien zu den Dialogbemühungen der sozialistischen Regierung weitgehend geschwiegen. Die reine Polizeilösung, das ist den meisten bewußt, ist im Baskenland nicht anwendbar und würde eher zu einer neuerlichen Gewalteskalation führen. Doch seit der Wiederaufnahme der Attentate durch die ETA ist es mit der Toleranz vorbei.
Selbst Anhänger der regierenden Sozialistischen Partei PSOE scheuen sich im privaten Gespräch nicht, die Todesstrafe für ETA-Attentäter zu fordern. Manuel Fraga, der Chef der konservativen „Volkspartei“ PP, forderte wiederholt das Verbot der im Baskenland erfolgreichen Partei „Herri Batasuna“, dem politischen Arm der ETA. Fraga begründet sein Verlangen damit, daß „Herri Batasuna“ sowohl das baskische Parlament in Vitoria als auch das spanische Parlament in Madrid boykottiert und Anschläge der ETA nur in seltenen Fällen verurteilt. Auch die Regierung, die nach den erneuten Anschlägen Anfang April zunächst erschreckt abgewartet hatte, schlägt inzwischen wieder die gewohnten harten Töne an.
Im Baskenland sind die Reaktionen prompter als zuvor. Nur zwei Tage, nachdem einem jungen Lehrer, den die ETA „aus Versehen“ zum Empfänger einer Briefbombe gemacht hatte, beide Hände amputiert werden mußten, gingen Tausende aus Protest auf die Straße. Selbst die Reaktionen von „Herri Batasuna“ wirken kleinlauter als zuvor. Zwar hatten kurz nach dem Abbruch der Gespräche zahlreiche ETA-Anhänger die baskischen Städte mit Plakaten gepflastert, in denen der Regierung die Schuld am Scheitern des Dialogs zugeschoben wurde, dennoch hatte sich „Herri Batasuna“ von einer Fortführung der Gespräche eine Stärkung ihrer politischen Rolle erwartet und sieht sich nun in ihren Hoffnungen frustriert. Auch unter ihren Anhängern mag die Rückkehr zu den Anschlägen zu Diskussionen geführt haben. „Wenn die Gespräche abgebrochen worden sind, dann wird die Regierung wohl auch etwas schuld daran haben, oder?“, meint eine junge Frau, die mit „Herri Batasuna“ sympathisiert. Es fehlt der überzeugte harte Ton von früher.
Die Medien machen unterdessen die Etarras in Santo Domingo zu berühmten Persönlichkeiten, spüren ihren Lebensgewohnheiten nach und fotografieren sie, sowie sie sich aus ihrer Bleibe trauen. Das politische Thema gerät langsam in Vergessenheit. Die Europawahlen sind in Sicht, die Mitte-rechts-Parteien versuchen sich in lokalen Koalitionen, und der Streit zwischen dem Generalsekretär der sozialistischen Gewerkschaft UGT, Nicolas Redondo, und dem sozialistischen Regierungschef Felipe Gonzalez hat mit dem 1.Mai einen erneuten Höhepunkt erfahren - all das ist jetzt in Spanien wichtiger. Selbst die Attentate haben nachgelassen. Es scheint, als holten beide Seiten Atem für die Zeit nach den Europa-Wahlen - um dann die Positionen neu abzustecken.
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