„Die Kirche nützte die Gelegenheit“

Der Burgfrieden der polnischen Opposition mit der Kirche ist gestört / Gegen das Ziel der Kirche, Abtreibungen völlig zu kriminalisieren, regt sich Widerstand / Gespräch mit Ewa Kozyra über die Arbeit ihrer Gruppe  ■ I N T E R V I E W

Seit 1956 gibt es in Polen ein Indikationenmodell - das der katholischen Kirche schon immer ein Dorn im Auge war. Eine Gesetzesinitiative katholischer Abgeordneter beinhaltet drakonische Strafen: Jede Abtreibung soll mit drei Jahren Gefängnis geahndet werden. Betroffen wären sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch die Frauen. Wer eine Frau zu einem Abbruch anhält, sie dazu überredet oder gar zwingt, müßte sogar mit fünf Jahren Gefängnis rechnen.

Ewa Kozyra ist Studentin an der Warschauer Universität und Mitorganisatorin einer Initiative von Privatleuten gegen das geplante Gesetz.

taz: Warum habt ihr euch zusammengefunden?

Kozyra: Wir sind gegen das Gesetzesprojekt, das von der katholischen Kirche lanciert wurde. Es sieht Gefängnisstrafen bis zu drei Jahren vor. Das heißt nicht, daß wir für Abtreibung sind. Das Problem ist nur, daß es hier kaum Alternativen dazu gibt. Es gibt praktisch keine Sexualaufklärung. Man hat zum Beispiel ein Handbuch für Mittelschüler über Sexualkunde wieder zurückgezogen. Außerdem gibt es kaum Verhütungsmittel. Ab und zu sind welche zu kaufen, aber nicht überall und zudem sind sie von schlechter Qualität und entsetzlich teuer.

Wie sehen denn die bisherigen rechtlichen Regelungen aus?

Seit 1956 gibt es ein entsprechendes Gesetz, das Abtreibung zwar nicht grundsätzlich erlaubt, aber Situationen beschreibt, in denen eine Schwangerschaftsunterbrechung zulässig ist: schwierige materielle Lage, gesundheitliche Gefährdung der Frau, Vergewaltigung. Wie die Lage inzwischen ist, war es unvermeidlich, das dieses Gesetz auch mißbraucht wurde.

Was mußten Frauen bislang tun, um einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen?

Abtreibung ist in den privaten gynäkologischen Praxen möglich. Wenn es sich um die erste Schwangerschaft handelt oder besondere Gründe vorliegen, warnt der Arzt vor dem Eingriff. Aber wenn die Frau darauf besteht, wird es in den meisten Fällen trotzdem gemacht. Wenn nicht, kann sie zu einem anderen Gynäkologen gehen. Zu dem bisherigen Gesetz gibt es einfach keine genaueren Ausführungsbestimmungen.

Und die Kosten?

Das bewegt sich um die 35.000 Zloty (30 bis 40 Prozent eines Monatseinkommens, d.Red.). Legt man den Schwarzmarktkurs des Dollar zugrunde, ist das sehr wenig. Es ist weniger als zehn Dollar.

Dafür sind die Eingriffe dann aber oft sehr brutal, gefährlich und teilweise geradezu vorsintflutlich...

Das niedrigste medizinische Niveau weist leider das staatliche Gesundheitswesen auf. Die haben das oft so gemacht, daß sie den Fötus rausgeschnitten haben. Davon kommt man jetzt langsam ab. In den Privatpraxen dagegen geht man inzwischen immer mehr zum Absaugen über. Wir befürchten, daß dieses Gesetzesprojekt nur dazu führen wird, daß das Niveau der Eingriffe wieder sinkt und dafür die Preise steigen. Wir hatten ja schon einmal ein solches Gesetz von 1932 bis 1956. Das war immer noch liberaler als die jetzt geplanten Verschärfungen. Die Zahl der Abtreibungen ist damals dennoch gestiegen. Heute haben wir es noch zusätzlich mit einem Kampf der Kirche gegen alle Verhütungsmittel zu tun. Ausgenommen ist nur die sogenannte „natürliche Methode“.

Die Zahl der Abtreibungen in Polen ist sehr hoch, auch im europäischen Durchschnitt.

Es gibt zwei Versionen. Die offizielle spricht von jährlich 500.000 Abtreibungen und die inoffizielle, von der Kirche vertreten, schätzt die Zahl auf eine Million. Es kursieren Flugblätter, die fordern die „Aburteilung der für den Massenmord an 33 Millionen Polen Verantwortlichen“.

Welche Möglichkeiten seht ihr denn, diese Zahl zu vermindern?

Wir sind nicht dagegen, das derzeitige Gesetz zu novellieren. Aber nicht auf der Basis des jetzt vorliegenden Projektes. Das sieht nicht einmal dort eine Ausnahme vor, wo die Schwangerschaft das Leben der Mutter direkt bedroht. Bei einer Bauchhöhlenschwangerschaft etwa gäbe es dann trotzdem ein Gerichtsverfahren, in dem der Richter dann nur davon absehen könnte, eine Strafe zu verhängen.

In Polen gibt es schon seit Jahrzehnten eine sehr starke Kampagne der Kirche gegen Schwangerschaftsabbrüche. Jetzt kommt zum ersten Mal öffentlicher Protest dagegen auf. Aber ist das nach all dieser Zeit nicht schon zu spät?

Ich habe schon vor einiger Zeit aufgehört, praktizierende Katholikin zu sein. Mich hat diese Kampagne nicht erreicht und viele Schulen beispielsweise auch nicht.

Es gibt dennoch viele Frauen, die regelmäßig in die Kirche gehen, denen im Traum nicht einfällt, die Kirche zu kritisieren und die dennoch abgetrieben haben. Dieses Verhalten wurde bisher noch dadurch bestärkt, daß es eine Art Burgfrieden zwischen Gesellschaft, Opposition und Kirche gab gegen Partei und Regierung. Man kritisierte die Kirche nicht, um den Kommunisten keine Argumente zu liefern. Auch jetzt gibt es Leute, die warnen, das Thema lieber nicht hochzuspielen, weil es ein taktisches Ausweichmanöver sein könnte, um vom Wahlkampf abzulenken.

Ich sehe das umgekehrt: Man hat wohl eher gehofft, jetzt sei eine günstige Gelegenheit, das Gesetz durchzuboxen, weil alle mit dem Wahlkampf beschäftigt sind. Gerade jetzt will niemand einen Konflikt mit der Kirche. Das macht es uns nicht gerade leichter.

Ihr habt ja jetzt plötzlich einen Bündnispartner von ganz anderer Seite bekommen. Ausgerechnet das Parteiorgan 'Trybuna Ludu‘ führt eine Kampagne gegen das Gesetzesprojekt. Stört euch das?

Ich persönlich habe nichts dagegen. Nur, daß die 'Trybuna Ludu‘ uns so dargestellt hat, als wären wir bereits eine ganze Bewegung. Tatsächlich aber sind wir nur eine lockere Gruppe. Wir wollen auch nicht, daß uns eine Partei oder politische Organisation unter ihre Fittiche nimmt. Wir äußern uns auch nicht zu sonstigen politischen Problemen. Uns geht es nur um die Sache.

1981 gab es hier an der Universität Warschau den ersten Versuch für eine feministische Gruppe. Nach der Verhängung des Kriegsrechts hat man davon nichts mehr gehört. Ist das jetzt wieder ein Anfang - gibt es überhaupt Feministinnen in Polen.

Ich bin jedenfalls keine. Ich glaube, es gibt welche. Zumindest gibt es die offizielle Frauenliga in den Betrieben, die aber von anderen Fraueninitiativen ziemlich isoliert sein soll. Wir hatten hier lange Zeit den sogenannten „Kult der polnischen Mutter“, der die traditionelle Frauenrolle festschrieb. Das ist bis heute noch sehr tief in den Köpfen der Frauen.

Das Gespräch führte Klaus Bachmann