Linke und die organisierte Kriminalität

„Diente die RAF vor allem zur Rechtfertigung des umfassenden Ausbaus eines polizeistaatlichen Informationssystems“, erklärt ein Beitrag zum 10.Strafverteidigertag 1986 in Bremen, „so ist es die 'Organisierte Kriminalität‘, die die Erforderlichkeit des polizeilichen Informantenwesens begründen soll.„

Was mit „organisierter Kriminalität“ eigentlich so recht gemeint ist, wird in den vielfältigen Veröffentlichungen polizeilicher Autoren nicht so recht deutlich. So weit wissenschaftliche Untersuchungen des Phänomens überhaupt existieren, wird davon ausgegangen, daß jedenfalls „syndikatsähnliche Verbrecherorganisationen in Europa nach wie vor nicht existieren“. Das Eingangszitat ist verdienstvoll, vor allem für jene, die damit angegriffen werden. Benutzen doch gerade sie es als Musterbeispiel für die verbrechensblinde Opposition speziell der Linken und der Gegner jeglicher Strafrechtsänderung hinsichtlich der organisierten Kriminalität „Sich selbst entlarvende Ignoranz“, murrt ein Teilnehmer der Tagung Organisierte Kriminalität VII in Münster über die vielzitierte These.

Unversöhnlich beäugen einander in der Bundesrepublik die Rufer nach besseren Instrumenten gegen die organisierte Kriminalität und große Teile vor allem der linken und liberalen Öffentlichkeit, die neue Befugnisse für Ordnungshüter vorwiegend als weiteren Schritt zum Polizeistaat einzuordnen gewohnt sind. Über den Gegenstand ihres Streits, die organisierte Kriminalität selbst, reden sie kaum miteinander - auch wenn dies dringend nötig wäre angesichts der voranschreitenden Gefahr durch immer effektiver arbeitende Banden (allein der konkret festgestellte Gewinn der Gruppen beläuft sich auf mehr als 15 Milliarden Mark - mit einer drei- bis vierfachen Dunkelziffer) und des enger werdenden Filzes aus Kriminalität, Administration und Politik.

Das gegenseitige Mißtrauen kommt natürlich nicht von ungefähr: Zweifellos hat der oft allzu leichtfertige - und erfolgreiche - Ruf vieler Oberfahnder nach Repressionsverschärfung selbst bei marginalen Vorgängen in anderen Bereichen viel Kredit verspielt (etwa durch die extensive Anwendung des Paragraphen 129a).

Doch die Frage ist, ob alleine das schon eine Rechtfertigung für die fast totale Verweigerung der Linken und Liberalen beim Aufbau effektiver Methoden gegen die organisierte Kriminalität sein kann - mit der Gefahr, daß das Thema, wie schon einmal just bei der Antiterrorgesetzgebung, völlig in die Hände derer gerät, die tatsächlich in Richtung Polizeistaat wollen.

Die Bundesrepublik ist noch weit entfernt von den Erkenntnissen der Studenten in Palermo und Neapel: „In den 70er Jahren haben wir uns mit den Polizisten geprügelt. Heute sehen wir uns geradezu gezwungen, an der Seite der Karabinieri und Ermittler zu marschieren, von denen die Mafia mittlerweile Hunderte umbringt“ (Flugblatt bei der Demo zum Gedenken an den Mord am Antimafiapräfekten und Karabinierigeneral Carlo Alberto dalla Chiesa). Und Staatsanwälte wie der Chefankläger im „Maxi-Prozeß“ von Palermo, Giuseppe Ayala, bestätigen, daß „uns alte 68er und Spontis heute oft mehr helfen als Hunderte von Politikern und Administratoren“. Bestes Beispiel der Ex-Lotta-continua -Mann Mauro Rostagno, der in Zusammenarbeit mit den Ermittlern über seinen Fernsehsender Mafiabosse angegriffen und per Drogentherapie Jugendliche aus den Fängen des Clans befreit hat (und der deshalb voriges Jahr ermordet wurde).

Statt sich Gedanken über einen demokratischen, öffentlich kontrollierten Kampf gegen die immer weiter vordringende organisierte Kriminalität zu machen, leugnen Linke und Liberale in der BRD (siehe These auf dem Strafverteidigertag) noch immer lieber deren Existenz gleich für ganz Europa - so, als gäbe es in Italien nicht seit Jahrzehnten Mafia und Camorra mit tausend Morden pro Jahr, als hätte man noch nie etwas von einer „french connection“ gehört oder als seien nicht riesige Waffenschiebereien auch mit BRD-Kriegsmaterial ans Licht gekommen.

Die Frage ist freilich auch, warum es unseren Ordnungshütern nicht gelingt, der Öffentlichkeit die Gefahren durch die fortschreitende Organisation des Verbrechens klar zu machen und zu zeigen, warum man mit den herkömmlichen Instrumenten nichts ausrichtet - zur Verfügung stehen neben dem Paragraphen 129 über kriminelle Vereinigungen nur der Hehlereiparagraph und das Betäubungsmittelgesetz. Tatsächlich klafft wohl auch bei den Ermittlern noch ein kräftiges Erkenntnis- und Bewußtseinsdefizit, wer da was wo und wie können soll - von der Frage des Undercoveragenten über den Zeugen- und Aussteigerschutz bis zur Legalitätsnachweispflicht großer Vermögen und zum Verbot von Geldwäsche. Bisher haben die Fahnder noch nicht einmal eine hinreichende Definition von organisierter Kriminalität zu erarbeiten vermocht; jahrelang haben der Hamburger Leitende Kriminaldirektor Wolfgang Sielaff und der Stuttgarter Polizeipräsident Stümper, zwei der kompetentesten Experten, gebraucht, um ihre Kollegen (von einer Transformation in ein Gesetz ist noch lange nicht die Rede) wenigstens davon zu überzeugen, daß man unter organisierter Kriminalität „nicht nur eine mafiaähnliche Parallelgesellschaft“ verstehen darf, sondern auch ein „auf möglichst schnellen hohen Gewinn“ abzielendes, „arbeitsteiliges und dauerhaftes Zusammenwirken im kriminellen Bereich“, „oft auch unter Ausnutzung moderner Infrastrukturen“. Dem Gesamtumfang der or ganisierten Kriminalität wird dieser Minimalkonsens nicht ge recht.

Ein Blick über den Zaun würde lohnen: Italien besitzt seit dem Erlaß eines eigenen Gesetzes gegen die organisierte Kriminalität („Antimafiagesetz“, 1982) eine Definition einer „Vereinigung mafiosen Typs“, die neben den „großen“ Delikten wie Erpressung und Schiebereien inhaltlich wie methodisch auch den gesamten Bogen der durch die Paragraphen der „kriminellen Vereinigung“ kaum abgedeckten Verbrechen erfaßt: die Zusammenarbeit von Clans und Behörden, das Erzeugen von Druck durch Abhängigkeiten, durch „legale“ Geschäftsschädigung (etwa indem die Restauranttische zur Essenszeit durch Banden besetzt werden, die aber nur Mineralwasser trinken). Die Definition lautet: „Eine Vereinigung ist von mafiosem Typ, wenn diejenigen, die daran teilhaben, sich der Einschüchterung, Ausnutzung von Gesellschaftsverträgen, Abhängigkeitsverhältnissen und der Verschwiegenheitspflicht bedienen zum Begehen von Verbrechen, zum direkten oder indirekten Ansichziehen der Leitung oder Kontrolle von Geschäften, öffentlicher Konzessionen, Zulassungen, Aufträgen und Dienstleistungen oder zum Erzielen unrechtmäßiger Profite und Vorteile für sich oder andere.“