Katzenjammer

Wenig Freude weckt der neue Spielmodus der Bundesliga / Mehr Gewalt statt Zuschauer?  ■  PRESS-SCHLAG

Am Montag noch unkte die 'Süddeutsche‘, der Mann würde demnächst die Einführung des quadratischen Balles vorantreiben, um dem geistigen Flachpaß zum endgültigen Durchbruch zu verhelfen. Einen Tag später er die ganz große Nummer: Gerhard Mayer-Vorfelder, kurz MV, Kultusminister und VfB-Präsident, Vorsitzender des Ligaausschußes, einem Zusammenschluß der Profivereine.

Just war nämlich unter seiner Federführung beschlossen worden, was die Nachrichtenagentur 'dpa‘ als „Revolution in der Bundesliga“ in alle Redaktionen tickerte (und vom DFB -Beirat noch bestätigt werden muß). Demnach soll die Meisterschaft ab der kommenden Saison nach neuem Modus ablaufen: Hin- und Rückspiel zweier Teams finden direkt aufeinanderfolgend statt („kleiner Wettbewerb“), der Gesamtsieger wird errechnet wie beim Europacup und erhält einen Punkt extra (bei Gleichstand sofort Elfmeterschießen).

Sinn der Maßnahme soll sein, „die Attraktivität für den potentiellen Fußballfan“ (MV) zu erhöhen. Der nämlich bleibt weg. Nie waren die Spiele schlechter besucht als in diesem Jahr, abgesehen von der kurzen Baisse nach dem Bundesligaskandal, weshalb den Verantwortlichen recht ordentlich die Muffe geht. Die Szenarien, mit denen der Flaute begegnet werden soll, sind alt und wenig originell: In England, der Schweiz, in Ungarn und anderswo ist versucht worden, durch Vergabe von Extrapunkten Offensivgeist zu stärken, genutzt hat es nichts. Stets waren flinke Rechner am Werk, um anhand bereinigter Tabellen nachzuweisen, daß Meister und Absteiger auch nach herkömmlingem Stil die gleichen wären.

Neu entdeckt hat der Christdemokrat MV lediglich, was seiner Partei sowieso Religion ist: den Wettbewerb, auch wenn er im Fußball „klein“ gerät. „Der Reiz ist doch mordsmäßig, wenn man schon nach einer Woche die Gelegenheit hat, die Schmach wettzumachen“. Was der Minister derart in Stammtischmanier feiert, ruft bei anderen erhebliche Nachdenklichkeit hervor.

Kaum eine Stimme, die nicht „zunehmende Aggression“ befürchtet, „Eskalation auf dem Platz“ (Trainer Saftig) und „wesentlich mehr Arbeit für die Schiedsrichter“ (Trainer Gerland). Und dem Dortmunder Spieler Frank Mill geriete nach dem Geholze beim Pokal ein Gang ins Stuttgarter Neckarstadion binnen Wochenfrist zu einem „Gang ins Fegefeuer“. (Daß ein Sitzungsteilnehmer mit den Worten zitiert wird, „über Sicherheitsfragen wurde kaum geredet“, wen wundert's so kurz nach Sheffield und dem Heysel -Urteil.)

Doch nicht nur die Angst vor Gewalt hat in Kürze die Kritik anschwellen lassen, und zwar derart, daß 'dpa‘ bereits einen Tag nach der vermeintlichen Revolution verstärkt „Katzenjammer“ registrierte. Ausgerechnet die Obertrainer der Nation, Franz Beckenbauer und Berti Vogts, reden von „Schwachsinn“, und befinden: „Weltfremd und gefährlich.“

Zu wenig durchdacht nämlich scheint vielen der Beschluß der Vereinsbosse. Wer soll aus dem Tabellenstand noch klug werden („neues Dorado für Statistiker“)? Was wird aus dem Spielplan, wenn wetterbedingt ein Teil des kleinen Wettbewerbs ausfällt? Wie reagieren Zuschauer, die - bei einem dazwischengeschalteten Länderspiel - wochenlang keinen Fußball live konsumieren können?

Die Diagnose nach kurzem Fieber ist ernüchternd: Sie reicht von „Effekthascherei“ ('FR‘) bis „Hin und her statt vorwärts“ ('FAZ‘), und 'Bild‘ hat einer Auswahl (1.000) Volk rasch aufs Maul geschaut und ausgezählt: „60,6 Prozent sind dagegen.“

Den bibelfesten MV kann das ganz kalt lassen, hat er vorsorgehalber doch schon vorher verkündet: „Ich bin nicht Moses, der vom Berg Sinai die Wahrheit predigt.“

Thömmes