Die schöne neue Welt der Automobilindustrie

Zwei neue Bücher über die Modernisierung der Produktion in einer der industriellen Schlüsselbranchen / Mit bloßer Imitation japanischer Praktiken ist es nicht getan  ■  Von Kurt Hübner

Die Automobilindustrie zählt zu den Schlüssel- und Wachstumsbranchen der langen, nicht ohne Hintersinn als „Fordismus“ bezeichneten Prosperitätsphase nach dem Zweiten Weltkrieg - aber auch zu den Industrien, denen im Zuge der sich verschärfenden Weltmarktkonkurrenz um kleinere Marktzuwächse seit Mitte der siebziger Jahre die pessimistischsten Zukunftsaussichten gemalt wurden. Insbesondere die auf der Basis der Mikroelektronik möglich gewordene Umgestaltung und Flexibilisierung sowie Automatisierung der Produktionsprozesse und das weltweite Aufkommen der japanischen Automobilindustrie haben viele Prognostiker zu der Aussage verleitet, daß bis Anfang der neunziger Jahre eine radikale Verringerung der Zahl der Automobilproduzenten und damit auch der Arbeitsplätze zu erwarten ist. Diese Prognose harrt noch ihrer Verwirklichung, wenn auch eine ganze Reihe eher makroökonomischer Gründe dafür sprechen, daß sie noch Realität werden könnte. Bereits heute praktisch geworden sind allerdings bereits all die Veränderungen, die den Prozeß der Produktionsmodernisierung betreffen.

Die von Mitarbeitern des Wissenschaftszentrums Berlin durchgeführte Untersuchung der Strategien der Produktionsmodernisierung in der Weltautomobilindustrie ist eine wahre Fundgrube empirischer Erkenntnisse, auf deren Basis auch weitergehende Schlüsse gezogen werden können. Untersucht werden Strategien britischer, deutscher und US -amerikanischer Konzerne, wobei immer wieder die soviel Furore machenden japanischen Managementpraktiken in die Betrachtung einbezogen werden.

Dies ist auch notwendig - schließlich war und ist die „japanische Bedrohung“ das Schlüsselthema der Weltautomobilindustrie. „Nullpuffer„- und „Nullfehlerprinzip“, wie sie das Toyota-Produktionssystem auszeichnen, haben mittlerweile Einzug nicht nur in die Arbeitsprozesse der internationalen Automobilwirtschaft gehalten. Mit einer bloßen Imitation der japanischen Praktiken, so eine der zentralen Erkenntnisse der Studie, ist es allerdings nicht getan. Indem die Berliner Forscher Technik und Technikeinsatz in einem arbeitspolitischen Terrain verorten, das durch vielfältige Kontaktlinien zwischen Management und Belegschaften, innerhalb von Belegschaften und zwischen verschiedenen Konzerntöchtern gekennzeichnet ist, gelingt es, die üblich gewordenen optimistischen beziehungsweise pessimistischen Technikmythen zu entlarven.

Es entbehrt nicht einer gewissen Spannung, nachzulesen, welche komplizierten Probleme technische Innovationen für das Management wie für die Gewerkschaften aufwerfen, insbesondere dann, wenn mit den technischen Umstrukturierungen auf Veränderungen der Arbeitsorganisation und der Kontrolle von Arbeitsprozeß und Arbeitskräften gezielt wird. Rationalisierungseffekte werden nicht allein durch Technikeinsatz und Arbeitsorganisation erzielt. Rationalisierung beginnt bereits bei der Produktionsentwicklung. So weist beispielsweise der von Ford im britischen Dagenham produzierte „Sierra“ mehr als 1.000 Schweißpunkte weniger auf als sein Vorgängermodell „Cortina“, und diese geringere Anzahl an Schweißpunkten wird dann von Robotern und nicht manuell bewältigt. Ein anderes Beispiel findet sich bei der Motorenkonstruktion, wo die Zahl der Bauteile und damit die Arbeitskosten drastisch gesenkt werden.

Produkt- und Prozeßinnovationen gehen mithin Hand in Hand. Angesichts der von Land zu Land unterschiedlichen Traditionen und Strukturen industrieller Beziehungen und der verschiedenen Marktlagen der Konzerne erstaunt es nicht, daß die jeweiligen Strategien der Produktionsmodernisierung höchst unterschiedlich ausfallen. Einige Konzerne gehen den Weg einer rigiden Technisierung mit dem Endziel einer hochautomatisierten Fabrik.

Am ambitioniertesten hat sich hier General Motors gebärdet, das mit seinem „Saturn-Projekt“ eine Revolution im Automobilbau ankündigte. Das Wahrzeichen der Industrie, das Fließband, sollte verschwinden und der Anteil „lebendiger“ Arbeit minimiert werden. Mittlerweile ist man etwas weniger vollmundig geworden, hat sich doch gezeigt, daß die vielbeschworenen neuen Technologien nur schwer zu beherrschen und störanfälliger als vermutet sind. Andere Konzerne, insbesondere das untersuchte deutsche Automobilwerk, setzen auf den Ausbau der Qualifikationen und partizipativen Fähigkeiten der Beschäftigten, um so den Technikeinsatz abzufedern und die Effizienz zu steigern. Eine wichtige Lehre brachte dabei die Erfahrung mit der VW -„Halle 54“, dem Anfang der achtziger Jahre spektakulärsten Schritt bei der Montageautomation. Wenig bekannt war bislang, daß es neben dem Automationsbereich auch eine traditionelle manuelle Parallelmontage gibt, die bei Produktionsstörungen kompensierend einspringen kann.

Welchen Weg die höheren Produktivitätsraten und damit die niedrigsten Produktionskosten bringt, läßt sich heute noch nicht endgültig entscheiden. Bemerkenswert ist allerdings, daß selbst innerhalb der Konzerne verschiedene Strategien gefahren werden, deren jeweilige Erfolge im Stile einer Kosten-Nutzen-Analyse ausgewertet werden. Wie im Falle öffentlicher Auftragsvergaben werden hier Produktionsaufträge konzernintern ausgeschrieben; die einzelnen nationalen Filialen können sich unter Angabe von Produktivitäts- und Kostenziffern um die Produktionen bewerben. Zwischenbetriebliche Konkurrenz wird auf diesem Wege institutionalisiert und damit auch die Beschäftigten verschiedener Werke gegeneinander ausgespielt.

Ob die Gewerkschaften, wie dies Walter Müller-Jentsch in einem Beitrag des Konferenzbegleitbandes zum Forschungsprojekt behauptet, zukünftig die Rolle des Co -Managements in den Unternehmen einnehmen, ist angesichts solch divergenter Formen der Arbeitsregulierung nicht abzusehen. Darüber entscheiden ganz offensichlich auch die jeweiligen Muster nationaler industrieller Beziehungen, die den konkreten Technikeinsatz prägen. Die Zukunft der Arbeit in der Automobilindustrie bleibt zumindest in qualitativer Hinsicht ein Terrain, auf dem auch weiter heftige Kämpfe ausgetragen werden.

Abzusehen ist dabei, daß die Nichtfacharbeiter weiter an Boden verlieren. Allerdings, das zeigt die Studie deutlich, ist dies keine schicksalhafte, quasi naturwüchsige Wirkung von Strategien der Produktionsmodernisierung. Die verbleibende „Restarbeit“ kann auch durch die Kombination mit anspruchsvolleren Arbeiten neu integriert werden. Gerade weil die Unternehmen häufig genug selbst über kein organisches Modernisierungskonzept verfügen, besteht für die betrieblichen Interessenorganisationen die Chance, das Maß der Restrukturierungsverlierer zu minimieren.

Allerdings gilt dies nur, wenn der Konkurrenzkampf der Konzerne zu keinem Nullsummenspiel ausartet. Dann nämlich werden Arbeitsplätze jeglichen Typs radikal abgebaut werden. Wie auch immer die Entwicklung verlaufen wird, die Autoren sind sich sicher: Die modernen Zeiten der Automobilindustrie beginnen erst. Daß dieser Optimismus durch einen Siegeszug ökologischer Vernunft durchkreuzt werden könnte, scheinen die Autoren nicht zu befürchten. Über die ökologie -politische Herausforderung der Weltautomobilindustrie, und dies ist das einzige Manko der Studie, erfährt der geneigte Leser nämlich nichts.

U. Jürgens/ Th. Malsch/ K. Dohse: Moderne Zeiten in der Automobilfabrik. Strategien der Produktionsmodernisierung im Länder- und Konzernvergleich. Springer-Verlag 1989

B. Dankbaar/ U. Jürgens/ Th. Malsch (Hrsg.): Die Zukunft der Arbeit in der Automobilindustrie, edition sigma, Berlin 1989