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Verteidiger plädieren auf Freispruch wegen Notwehr

Der Prozeß gegen die Berlinerinnen Ute und Melanie Loh wird vor der Strafkammer in Famagusta fortgesetzt / Überforderung des Dolmetschers erschwert die Verhandlung / Staatsanwalt unterstellt den Angeklagten „Rachemotive“  ■  Aus Famagusta Ömer Erzeren

„Demnächst kann ich gleich mein Zelt im Gerichtssaal von Famagusta aufschlagen.“ Der Mann mit dem dicken Bauch, der in dem Informationsbüro der Türkischen Republik Nordzypern beamtet ist, flucht. Für den Prozeß gegen die 48jährige Berliner Lehrerin Ute Loh und ihre Tochter Melanie ist er als Dolmetscher zwangsverpflichtet worden. „Vor einem Jahr habe ich bei einem ähnlichen Fall gedolmetscht. Ein alter Mann lag mit seiner blutjungen Frau, die er geschwängert hatte, nackt am Strand. Zwei Typen kamen. Einer hat die Frau mit dem Messer bedroht und es mit ihr getrieben, während der andere beim Mann stand. Der Prozeß war gut, in zwei bis drei Tagen beendet. Aber dieser zieht sich unendlich hin. Ich kann doch nicht ständig unentgeltlich dolmetschen. Jetzt geht die Saison erst richtig los.“ Düster erwartet er die Touristensaison - Vergewaltigungen bedeuten stressige Gerichtstermine und Mehrarbeit.

Ute und Melanie Loh sind vor der Strafkammer Famagusta angeklagt, den Zyprioten Özmen Tulga getötet zu haben, der zuvor mehrfach Melanie Loh vergewaltigt hatte. In der Vorverhandlung vor dem Amtsgericht war die Anklageerhebung gegen die beiden Frauen für zulässig befunden worden. Die gleichen Zeugen, die bereits vor dem Amtsgericht aussagten, sind vor das Strafgericht geladen. „Omo„-Kartons, Plastik und Packpapiertüten - sie umhüllen Dutzende meist blutiger Beweisstücke - sind vor die Richterbank gestellt. In trockenem Ton referiert ein Laborkriminalist, der als Zeuge vernommen wird, die lange Liste der Gegenstände und Kleidungsstücke, die Blutspuren aufweisen.

Die Zeugenaussagen offenbaren den entsetzlichen Kampf zwischen Vergewaltiger und Opfern, der am Abend des 23. März an einem menschenleeren Sandstrand stattgefunden hat. Der wachhabende Arzt Ali Riza hat die beiden Frauen, die nach den Schreckensereignissen in desolatem Zustand ins nahegelegene Dorf Yeni Erenköy rannten, als erster untersucht. „Schwere Verletzungen“ hat er bei den Frauen festgestellt. Staatsanwalt Altan Erdag, während der Zeugenvernahme bemüht, die Vergewaltigung in Frage zu stellen, fragt die nächste Zeugin, die Frauenärztin Zerrin Akalin, die Melanie Loh in der betreffenden Nacht untersucht hatte, ob ein gewaltsamer Geschlechtsverkehr stattgefunden habe. Rechtsanwalt Ali Dana protestiert: „Was heißt gewaltsamer Geschlechtsverkehr?“ Der Gewaltbegriff des Staatsanwalts sei zu eng gefaßt. Jede Penetration unter Bedrohung des Opfers sei Vergewaltigung. Die Antwort der Zeugin Akalin, die den Einwurf des Verteidigers beiseite schiebt, ist indes für den Staatsanwalt unbefriedigend: „Höchstwahrscheinlich sind die Risse in den betreffenden vaginalen Regionen durch Gewalt verursacht worden.“

Entgegen den ersten Verhandlungstagen vor dem Amtsgericht, wo viele Sensationslüsterne sich eingefunden hatten, herrscht vor der Strafkammer nüchterne Sachlichkeit. Der Gerichtssaal ist hell. Die Richter, die kaum in die Zeugenvernahme durch Staatsanwalt und Verteidiger intervenieren, erwecken Vertrauen. Wie zuvor ist der Dolmetscher überfordert, die Angeklagten können wesentlichen Details nicht folgen. Die Aussagen der Frauen vor der Polizei, die dem Gericht auf Türkisch vorliegen, werden vom Dolmetscher ins Deutsche rückübersetzt. Die Überforderung des Mannes wird offenkundig.

16 Zeugen sind vor der Strafkammer gehört worden. Erdrückend sind die Indizien, daß der tote Özmen Tulga Melanie Loh vergewaltigte. Den Angeklagten steht es frei, eine Aussage unter Eid oder ohne Eid zu leisten. Eine Aussage unter Eid bedeutet ein Kreuzverhör durch den Staatsanwalt. Alle Details des schrecklichen Tages müßten ausgebreitet werden. Verständlich, daß die beiden Frauen statt dessen kurze Erklärungen abgeben. „Ich bin nicht schuldig. Ich habe alles, was ich weiß, der Polizei gesagt“, erklären sie hintereinander. Die Plädoyers des Staatsanwalts und der Verteidigung werden gesprochen.

Verteidiger Ali Dana zitiert Präzedenzfälle aus Großbritannien, dem griechisch-zypriotischen Teil der Insel und der eigenen Rechtsprechung. Es falle leicht, im nachhinein über das erlaubte Maß der Gegenwehr bei einer Vergewaltigung zu urteilen. Als Maßstab für die eingesetzten Mittel der Notwehr habe die subjektive Situation des Angegriffenen zu gelten. Im konkreten Fall liegt die mehrfache Vergewaltigung von Melanie Loh vor. Aufgrund der dem Gericht vorliegenden Aussagen rekapituliert er das blutige Szenario, wie sich die beiden Frauen gegen den Vergewaltiger wehrten, was mit dem Tod von Özmen Tulga endete. Seine Mandantinnen hätten in Notwehr gehandelt. Er plädiert auf Freispruch.

Staatsanwalt Altan Erdag bestreitet die Vergewaltigung nicht. Doch habe keine Notwehrsituation vorgelegen. Die Absicht von Tulga sei Vergewaltigung gewesen und nicht die Tötung der beiden Frauen. Tulga habe entkräftet und verletzt nach dem Kampf am Boden gelegen. Aus Rachemotiven sei im nachhinein der Gürtel um seinen Hals gelegt und er stranguliert worden. In dieser Situation hätten die Frauen fliehen können. „Von Notwehr kann keine Rede sein. Wegen der Vergewaltigung können höchstens strafmildernde Umstände geltend gemacht werden.“ Das Urteil wird am 18.März verkündet werden.

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