Hling kling kandarpa svaha

■ Madame Bovary bei den Sannyasins: John Updikes Briefroman „S.“

Mit „S.“ unterzeichnet die 42jährige Arztgattin Sarah Worth, ein Prachtexemplar aus John Updikes Menagerie neuenglisch -puritanischer Luxusweibchen, ihre Briefe; ihr Mann heißt Chales wie Monsieur Bovary. Mit dem „scharlachroten Buchstaben“ A (für adulteress, Ehebrecherin) war Hester Prynne in Nathaniel Hawthornes gleichnamigem Romanklassiker von 1850 gebrandmarkt, den Updike nun schon zum dritten Mal (nach Sonntagsmonat und dem Deus-ex-machina-Roman Das Gottesprogramm) variiert - diesmal aus dem Blickwinkel der stolzen Sünderin. Derlei Anspielungen mag man auf die Rechnung eines literarhistorischen Spieltriebs setzen, als kryptisch verschlüsselten Subtext lesen oder als Insider -Späßchen: Sarahs Zahnarzt etwa, den geldgierigen Pfuscher Dr.Podhoretz, hat Updike nach einem seiner Intimfeinde aus dem Literaturbetrieb getauft.

Sehr viel unverhüllter ist eine andere Parallelführung: Updikes dreizehnter Roman, wie immer eine Satire auf Ostküsten-Ehen und den Stoffwechsel von Sex und Religion, ist eine höhnisch präzise Persiflage auf den orangeroten Bhagwan und seine 1987 aufgeflogene Wüstenkommune Rajneeshpuram. Daß der heiligmäßig gutgelaunte „Arhat“ in Lincoln-Limousinen durch Arizona und nicht im Rolls Royce durch Oregon chauffiert wird, daß seine Geschäftsführerin, ein ordinäres Flintenweib und Giftmischerin dazu, Durga und nicht Ma Anand Sheela heißt, straft Updikes Schwur „Alle Figuren und Schauplätze sind frei erfunden“ natürlich noch lange nicht Lügen. Übrigens trügt selbst der Schein der Fiktion: Der Guru, der da mit allerlei erleuchteten Einsichten in westliche Psyche, Gesellschaft und Lebensart aufwartet („Unter allen Formen der Illusion ist die Frau die wichtigste“); der Kenner buddhistischer Schriften, dessen Sanskrit-Kauderwelsch („Hling kling kandarpa svaha“) auch Updike über die Maßen fasziniert hat (das Glossar am Ende nennt gut 300 Fachbegriffe zwischen abhayamudra und yoni); der Meister tantrischer Liebestechniken, dem auch Sarah trotz seiner irdischen Unzulänglichkeiten („Mein Linga reicht nicht bis zum Himmel“) verfällt - dieser komische Heilige also entpuppt sich am Ende als Art Steinmetz, ein Althippie, den es von Watertown einst an den Ganges verschlagen hat. Aber hat nicht auch der echte Bhagwan gelehrt: „Es ist unwichtig, wann und wo ich geboren wurde.“

Der Halbgott in Rot, um dessentwegen Sarah Familie, Heim und Ehre (das Geld nimmt sie vorsorglich mit) aufgab, war nicht ihr einziger Guru. 20 Jahre lang hat sie ihrem Charles den Haushalt und jenes zweisame Ritual, das anderswo „maithuna“ heißt, besorgt; nun begreift sie ihre Flucht in die Wüste als Befreiung. Der Tod des Egos ist der Preis des Glücks.

Allein, der Müll ihres alten Lebens lastet schwer auf der nunmehr zu Ma Prem Kundalini verklärten Sarah. Etliche Briefe sind an den Zahnarzt, den Psychiater, an die Anwälte und Banken in den „Äußeren Staaten“ adressiert. Wenn sie ihrer vertrottelten Mutter schreibt, sorgt sie sich vor allem um den Zusammenhalt des Erbes, und wenn sie ihrer Freundin aus der Yoga-Gruppe Kassetten schickt, hört man außer Meisterworten auch viel Sektenklatsch. Der Aufstieg in der Ashram-Hierarchie, die Weihe zur nayika, zur Geliebten und engsten Vertrauten des Arhat, der Ärger schließlich mit Behörden, abtrünnigen Jüngern und geleimten Spendern, all das schärft nur Sarahs Realitätssinn, der sich durchaus skrupellos in Unterschlagungen aus dem hauseigenen „Schatz der Erleuchtung“ Bahn bricht.

Ihre Korrespondenz mit Charles und ihrer Tochter Pearl verrät so immer deutlicher, daß sie trotz aller feministischer Selbstverwirklichungs- und meditativer Entfesselungstricks auch in der Vorhalle des Nirwana bleibt, was sie immer schon war: clevere Geschäftsfrau und tyrannische Mutter, verwöhntes Luxusgeschöpf und Provinzspießerin. Diese Widersprüche eines Charakters fächert Updike ohne Häme kaleidoskopartig in Sarahs gesammelten Briefen auf; jeder Adressat - die Antwortbriefe werden uns vorenthalten - bekommt eine andere Facette zu Gesicht: eine Technik, die zwar der - bei aller Mitteilungsbedürftigkeit kommunikationslosen - Subjektivität Sarahs vorzüglich gerecht wird, aber doch auch manche Brüche und strapaziösen Umständlichkeiten in der Erzählführung bedingt.

So wie die klosterschwesterlich sanften Sannyasins in Machtkämpfen und Devotionalienhandel dem irdisch materiellen -prakriti verhaftet bleiben, so lebt umgekehrt ja auch im amerikanischen Alltag der Glaube an spirituelle Reinigung und Erleuchtung fort; Sarahs nom de guerre, „Kundalini“, die vom Lustzentrum aus nach oben strebende Schlange der Energie, züngelt insofern in jeder Karrierefrau. Und als der Guru am Ende, gleichsam Arm in Arm mit Charles, seinem Nebenbuhler und Widerpart, die Maske des Halbgotts fallen läßt, bleibt auch Sarah nichts übrig, als ernüchtert in eine profane Welt zurückzukehren, die Transzendenz, psychotherapeutisch, westlich-puritanisch oder östlich -entspannt, als Trostpflaster und Stimulanz in Sonderangeboten feilhält. Die Religion einer postfreudianisch aufgeklärten Sexualität kann, auch wenn sie mythisch verschwiemelt wird, allenfalls zeitliche Seligkeit versprechen; und das Stigma der Erwählten strahlt hell im Heiligenschein des Erfolgs. Den american way of life als maya, als trügerische Illusion, seinen Ego-Kult als Schein zu überführen und im selben Augenblick sich spielerisch spöttisch darauf einzulassen, das kann jeder Bhagwan. Aber nur ein Updike vermag, weil ihm nicht einmal die Götter der Jetzt-Zeit heilig sind, geistreiche und amüsante Literatur daraus machen.

Martin Halter

John Updike: S., Roman.Deutsch von Heidrun Adler. Rowohlt, 1989. 304S., 36DM.