Diese Art Schönheit

Der zweite Tag / Scorseses New-York-Episode: Hektischer Schnitt, laute Musik / Scorsese hat sich nicht geändert / Und Bliers „Trop belle pour toi“: Wohlhabender BMW-Filialenbesitzer liebt seine Adia-Interim-Sekretärin  ■  Aus Cannes Thierry Chervel

Life lessions: Martin Scorseses Episode in den New York Stories, die er zusammen mit Coppola und Allen gemacht hat. Nick Nolte spielt einen berühmten Maler - große Formate, wilde Gesten, schmutzige Hände, pastoser Auftrag -, die hübsche Rosanna Arquette seine Assistentin und Geliebte. Sie malt auch. Er begehrt ihren Fuß, sie begehrt seine Meinung. Er möchte der Mann sein, den sie liebt, sie möchte eine Malerin sein, die er schätzt. Er tritt auf eine Farbtube, Blau spritzt an die Wand. Sie faßt sich ins Haar. Er ist rasend eifersüchtig auf Rosanna, aber eine Meinung sagt er ihr nicht. Die Kamera kreist, zuckt, reißt die Bilder auf, fährt unter die Zimmerdecke und an die Gesichter. Zeitlupe, extreme Nahaufnahmen, hektischer Schnitt, laute Musik: Gemalt wird zu Whiter Shade Of Pale von Procol Harum. Es ist ein Fest zu sehen, daß Scorsese sich nicht geändert hat. Sie verläßt ihn, er ist am Boden zerstört. Dann ist Vernissage. Eine junge Malerin bekennt ihm ihre Verehrung für sein Werk. Drei taxierende Blicke: braune Augen, voller Mund, runde Schultern. „Wollen Sie meine Assistentin werden?“

Trop belle pour toi von Bertrand Blier. Bernard (Gerard Depardieu) ist der wohlhabende Besitzer einer BMW-Filiale am Stadtrand von Marseille und Ehemann der sehr schönen Florence (Carole Bouquet, die aus der Chanel No.5-Reklame). Der Film erstaunt sich nun darüber, daß sich Bernard in die gar nicht so schöne Colette (Josiane Balasko), seine Adia -Interim-Sekretärin, verliebt. Konstruiert wirkt das nicht etwa, weil es ständig um diese Frage der Schönheit geht, und nicht um Bernards Liebe, die solche Fragen subjektiv modifiziert. Darum bleibt der Film ein eitles und machistisches Traktat und die Schönheit seiner Bilder, die gewiß „poetisch“ genannt werden will, äußerlich.

Aber die Szene hat mir gefallen. Bernard und Familie sitzen beim Abendessen. Eine Musik von Schubert ist zu hören, die schon vorher als Filmmusik eingesetzt wurde. Der Sohn fragt Bernard, wie er die Musik findet; „Welche Musik?“ fragt Bernard zurück. Er hatte sie - wie wir Zuschauer, die sie unwillkürlich dem Off zuschlugen - gar nicht als Teil des Ambientes wahrgenommen, sondern als das schmerz- und lustvolle innere Pochen seiner Verliebtheit, zu wahr und selbstverständlich, als daß ein Begriff wie Musik sie noch bezeichnen könnte. Dem Film, der sie zu sehr suchte, ist diese Art Schönheit entwischt.