Ankläger drohen mit Folgeprozessen

Auch wenn das Urteil gegen den Memminger Arzt nicht rechtskräftig ist, steht er heute schon vor finanziellem Ruin und ist juristischen Schikanen ausgesetzt  ■  Von Gunhild Schöller

Berlin (taz) - Während die ersten heftigen Wellen der Empörung über das Urteil von Memmingen gegen den Abtreibungsarzt Horst Theissen verebben, tröstet man sich damit, daß es ja noch nicht rechtskräftig ist. Aber wie wird dieses Strafverfahren weitergehen? Was macht mittlerweile der verurteilte Arzt?

Zu einer Revisionsverhandlung kommt es nur dann, wenn der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe diese genehmigt. Die Verteidiger werden in der Begründung für ihren Antrag auf Revision all die Mängel und Fehler dieses Strafprozesses aufführen, die es nach ihrer Auffassung nötig machen, das gesamte Verfahren neu aufzurollen. Erscheint dem BGH diese Begründung einleuchtend, wird der Abtreibungsprozeß noch einmal beginnen. Zwar vor einem höheren Gericht, aber auf jeden Fall wieder in Bayern. All die Frauen, die als Zeuginnen intime Details über ihre Abtreibung preisgeben mußten, werden dann noch einmal vor Gericht gezerrt. Ein Horrorszenario. Wenn der Bundesgerichtshof dem Revisionsgesuch nicht stattgibt, muß Horst Theissen wegen Paragraph 218 zweieinhalb Jahre in den Knast, danach erwarten ihn drei Jahre Berufsverbot. Außerdem ist davon auszugehen, daß die bayerische Ärztekammer die Approbation (Zulassung zum Arztberuf) entziehen wird. Horst Theissen kann dann in Bayern nie mehr als Arzt arbeiten.

Ein treffliches Mittel zur Erpressung hält immer noch die Staatsanwaltschaft Memmingen gegen Theissen in der Hand. Im April hatte sie 77 (der insgesamt 156) Fälle vorläufig zu den Akten gelegt - angeblich um den Abschluß des Prozesses zu beschleunigen. Diese Einstellung von 77 Anklagepunkten verbanden die Staatsanwälte jedoch mit einer unverhüllten Drohung: wenn das Urteil nicht „angemessen“ hart ausfalle, werde man sie erneut zur Verhandlung bringen. Nun, da das Urteil auch für die Herren Staatsanwälte hart genug ausgefallen sein dürfte, können sie mit diesen 77 Fällen ganz neu erpressen. Falls es zu einer Revisionsverhandlung kommt, so können sie im Gegenzug in Memmingen einen zweiten Prozeß über die nicht verhandelten Fälle eröffnen. Theissen erklärte der taz, er wisse nicht, ob er zwei weiteren Prozessen standhalten könne.

Die finanziellen Ressourcen von Dr.Theissen sind erschöpft. Schuldig gesprochen, muß er für die Kosten des achtmonatigen Verfahrens aufkommen - neben den Kosten für seine drei Verteidiger schätzungsweise 300.000 DM. Außerdem muß er seit einem Jahr laufend Zinsen zahlen für die Kaution von 200.000 DM, die er bereitstellen mußte, um aus der U-Haft vorläufig freizukommen. Auch jetzt ist der Haftbefehl gegen Theissen nur „außer Vollzug“ gesetzt und nicht aufgehoben. Das heißt die Staatsanwaltschaft nimmt bei Theissen noch immer „Fluchtgefahr“ an - obwohl er acht Monate lang bei jedem Prozeßtermin vor Gericht erschien, Haus und Familie hat. Paß und Personalausweis wurden ihm abgenommen. Einmal wöchentlich muß er sich bei der Polizei melden, damit Memmingens prominentester Mann bestimmt nicht heimlich davonlaufen kann.

Gunhild Schöller

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