Laßt die Puppen tanzen

■ Gastspiel: Rotraut de Neve und Heidrun Vielhauer mit ihrem frühen Stück „Zwei Weiber“ im Schauspielhaus. Nochmal am 19. und 28. Mai und 2. Juni, 20 Uhr

Allerhand Publikum im Schauspielhaus: Rotraut de Neve und Heidrun Vielhauer sind wieder da, wenn auch nur gastspielweise und mit ihrer uralt-Produktion des Schauspielhauses Hamburg: „Zwei Weiber“ heißt das kurze Stück, knapp eineinviertel Stunden lang, das von der Unterdückung und Befreiung der Frauen handelt. Und zwischen den Fans der beiden sitze ich, noch nie eine Freundin von Tanztheater gewesen und darum auch erstmals Zuschauerin. Fein vorbereitet allerdings durch einen Programmzettel, auf dem auszugsweise hymnische Kritiken über die damalige Aufführung zu lesen sind. Zwischen eigener Skepsis und anderer Leute Begeisterung also hin-und hergerissen, warte ich auf die beiden Weiber.

Da kommt die eine schon aus dem Zuschauerraum: Heidrun

Vielhauer, ein ätherisch-ver träumtes Wesen, das sich hinter einem Abfalleimer umzieht und dann, ganz auf sich selbst bezogen, tanzt. Plötzlich erschreckt sie ein Rascheln: Aus dem Müllhaufen schält sich Rotraut de Neve, nähert sich poltrig der verschreckten Tänzerin, wühlt im Mülleimer und gibt der Tänzerin einen Apfel - Symbol, Symbol: Damit hebt Evas erkenntnisreiche Tanz-und Musik-Collage an. Heidrun Vielhauer beißt in den Apfel und wühlt nun selber in der Mülltonne herum, holt ein riesiges weißes Tuch heraus, beginnt damit zu tanzen - und dieses Bild betört meine Sinne fast gegen meinen Willen: ein weißes Tuch, mit spielerischen Gebärden durch die Luft geworfen, bis das Fließen des Stoffs und die Bewegungen der Frau ineinander übergehen.

Es gibt an diesem Abend noch

viele Bilder, die so vital, so sinnlich wirken, denen ich mich gern überlassen würde. Es gibt auch Komik, Parodie, groteske Szenen zwischen Mann und Frau - wie die mit de Neve als Glatzkopf, der seine Frau wie Ware anpreist, dessen Liebesbeteuerungen vor Verachtung nur so triefen. Aber was mich schon bald zu stören beginnt, ist das Banal -Bedeutungsschwangere, das die Collage - trotz manchmal aufscheinender Ironie - zusammenhält: grade die Szene mit dem Glatzkopf und seiner Frau drückt in der Körpersprache unendlich viel mehr aus als im eigentlich altbacken -demonstrativen Text. Auch über die Vergiftung unserer Umwelt muß de Neve nicht gar so simpel räsonnieren. Da jagt ein ausgekautes Reizwort das andere. Die körperliche Kraft und die Gestaltungskunst der beiden Frauen hat Inter

essanteres zu sagen - wie jener Tanz, der so wunderschön beginnt, in dem Heidrun Vielhauer mit Männeranzug und Rennfahrerkappe eine reizvoll-abstoßende Männlichkeit zur Schau stellt und mit Rotraut de Neve so lange tanzt, bis die Frau zusammenbricht. Wortlos auch der Prozeß, in dem sich die beiden Frauen langsam und spielerisch von ihrer Puppenexistenz befreien: de Neve und Vielhauer bleiben als lebensgroße Puppen liegen, die beiden menschgewordenen Frauen verlassen Schritt für Schritt die Bühne - zu den schwülstigen Klängen der Nationalhymne von „Recht und Freiheit“. Was das nun wieder soll?

Sybille Simon-Zülch