: Seh'n oder Nichtseh'n
■ Wunder über Wunder: „III nach Neun“ wagte sich mal wieder aus den Ruhekissen
Von Herzen ist es Gottfried Böttger zu gönnen, daß ihm der Sender ein neues Spielzeug unter die Finger stellte und ihm dazu auch gleich das passende Gewand spendierte: Im halbseidenen kleinen Schwarzen, fernöstlich hochgeschlossen, saß der unvermeidliche Pianist an einem schnittigen „Yamaha“ -Flügel und entlockte ihm Töne von elektronischer Brisanz. Ebenso schnittig wie Böttgers heißer Tasten-Ofen: der neue Jung-Moderator Giovanni di Lorenzo, ein rechter Meister Propper, der vornehmlich zu Frauen - er würde sie wohl „Damen“ nennen - ent-zückend ist: „Donnerwetter, Sie sind ja schlagfertig“, sagt er zur Berliner Senatorin Heide Pfarr, die diesen säuselnden Smartie mehr als einmal in die Tasche stecken könnte, aber das merkt er nicht. Noch nicht!
Merken tut nach wie vor auch die Technik nichts: Sobald es, was ja selten genug vorkommt, bei „III nach Neun“ hoch hergeht, sitzt man als Zuschauer auf dem Trockenen, weil die Herr-und Frauschaften von der Technik nicht in der Lage sind, mit Mikrofon und Kamera zu reagieren. Diese Schwerfälligkeit ist zum Haareraufen, um nicht zu sagen: eine Schande. Und grade am letzten Freitag war endlich mal wieder Leben in der Bude, weil die Redaktion zum Memminger Prozeß und zum Thema Abtreibung die passenden Kontrahenten eingeladen hatte: Auf der einen Seite zwei unbarmherzige Schwestern im Geiste: Karin Stieringer von der Radikalinski -Sekte „Christdemokraten für das Leben“, und die Oberkatholikin Rita Waschbüsch, beide in gravierendem Dissens befangen, denn nach Stieringer und ihresgleichen haben die Frauen grundsätzlich kein Recht, über das Kinderkriegen zu entscheiden, während Waschbüsch und ihre Hohe Kirche zwar grundsätzlich von Gewissensfreiheit faseln, aber in Wahrheit hinter jeder erfolgten Abtreibung den Beweis eines „falschen“ Gewissens erschnüffeln wollen. Bezeichnenderweise übrigens redet ausgerechnet die Embryonen -Anwältin Waschbüsch von „Güterabwägung“ zwischen der Mutter und dem „ungeborenen Menschen“. Da verrät sich die unmenschliche Eiseskälte der demagogischen Lebensborn -Mentalität mit dankenswerter Deutlichkeit.
Diesen zwei religiös brutalisierten Zwetschgen saß Doktor Theissen mit einer ehemaligen Patientin, Magdalena Federlin, gegenüber; dann Heide Pfarr, Benny Härlin, Barbara Thalheim
-eine patzig-präsente Liedermacherin aus der DDR -, Renee Zucker - die diesmal höchst souverän und keineswegs lustlos wirkte - und Michael Geyer, dem mehrmals auf die versteckte, Geyer-typische Art der Kragen platzte: „Sie sollten sich bei der amtierenden Regierung dafür einsetzen“, sagte er trocken zu Karin Stieringer, „daß sie das Beratungsgesetz ehrlicherweise in Nötigungsgesetz umbenennt“.
Erbost griffen Leute aus dem Publikum die beiden monströs -zivilisierten Abtreibungsgegnerinnen an. Nur einer, ein „einfacher Schlossermeister“, hielt mit seinem völkischen Kauderwelsch zu den zwei terroristischen Gottesanbeterinnen: „Ich habe gar keine Lehrlinge mehr“, quoll es aus ihm heraus, „weil nur noch abgetrieben und hingemacht wird. Und wer bezahlt unsere Renten?“
Ziemlich erschütternd, was da zutage kam, aber es war doch endlich mal wieder eine Talkshow, bei der man am liebsten in den Apparat gekrochen wäre, um mitzustreiten, weil es ein Thema ist, das überall in der Luft herumschwirrt und in „III nach Neun“ mit offensiver Direktheit angegangen wurde.
Sybille Simon-Zülch
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