Behörden-Trick gegen Asylbewerber

■ Asylbewerber sollten auf ihre Rechte schriftlich verzichten / Ausländerbehörde im Landkreis Nienburg ließ Asylbewerber ohne Anwalt und ohne Kenntnis der Folgen unterschreiben

Mit völlig neuen Tricks der Behörden wird im Landkreis Nienburg(Weser) versucht, AsylbewerberInnen zum Verzicht auf ihre Rechte zu bewegen.

Das kurdische Ehepaar Demir, zweiundzwanzig und vierundzwanzig Jahre jung, kommt im April 1988 in die Bundesrepublik, ihre drei kleinen Kinder im Schlepptau, und beantragt politisches Asyl. Vorausgegangen ist dem eine jahrelange Verfolgung durch die türkischen Behörden. Vorgeworfen werden ihnen kurdische Aktivitäten. Mit ständigen Übergriffen und Überfällen auf ihr Leib und Leben, die sie nach eigenem Bekunden einzig ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe zu „verdanken“ haben, begründen sie ihren Antrag auf politisches Asyl.

Bis zum heutigen Tag ist der Familie vom Bundesamt für die

Anerkennung ausländischer Flüchtlinge keine Entscheidung über den Asylantrag zugestellt worden. Dennoch wurden die Eheleute Demir aufgefordert, bei der zuständigen Ausländerbehörde des Landkreises Nienburg zu erscheinen und ein Formular zu unterschreiben. Darin verpflichten sie sich, ihre Kinder bei Ablehnung des Asylantrages unverzüglich mit außer Landes zu nehmen und auch keinerlei Rechtsmittel gegen die Entscheidungen einzulegen. Anwalt Rückoldt hält diese Behördenpraxis für „rechtswidrig“. Sie „mißachtet die Menschenwürde und verkürzt den grundgesetzlich garantierten Rechtsweg“. Deshalb auch hat er eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die zuständigen Sachbearbeiter erhoben und die Unterschrift auf dem fragwürdigen Dokument (siehe Faksimile)

im Auftrage seiner Mandanten zurückgezogen. Die nämlich wußten gar nicht so recht, was sie da unterschrieben. Und die Ausländerbehörde, wohl wissend ob der anwaltlichen Betreuung, vermied es tunlichst, den Verteidiger zu benachrichtigen.

Juristischer Angelpunkt dieser per Formular offenbar allgemeinen Nienburger Praxis von Erklärungs-Abnötigung ist die besondere Behandlung von Minderjährigen in Asylverfahren. Der Aufenthalt von Kindern unter sechzehn Jahren ist „erlaubnisfrei“, eine Pflicht zur Ausreise besteht auch dann nicht, wenn die Eltern ausgewiesen werden. Eingeschränkt werden kann dieses Recht durch einen „Bescheid zur Befristung des erlaubnisfreien Aufenthaltes minderjähriger Kinder“, der deren Aufenthaltsdauer an die der Eltern koppelt. Gegen diesen Bescheid aber kann mit den üblichen Rechtsmitteln vorgegangen werden. Solange über einen Widerspruch nicht entschieden ist, solange kann die Abschiebeandrohung auch gegen die Eltern nicht vollstreckt werden. Um diese manchmal erheblich verlängerte Anwesenheit der Familien gar nicht erst möglich werden zu lassen, hat die Nienburger Ausländerbehörde dem Bundesamt vorgegriffen, die Ablehnung des Asylantrages mitgeteilt und dann unter dem Vorwand, für die gemeinsame Ausreise der ganzen Familie sorgen zu wollen, den Eltern den Verzicht auf ihre gesetzlich verbrieften Rechte abkaufen wollen. Andreas Hoetze