X-MAL DEUTSCHLAND

■ Vom Bummeln in Ballungszentren

Mit Schäferhund und Penny-Markt-Tüte auf zum Breitscheidplatz. Wem das schon zu weit ist, geht auf den Platz um die Ecke, zum Beispiel den Viktoria-Luise-Platz, läßt sich auf eine Bank oder den Rasen fallen - und fertig ist die Laube. Der Berliner bummelt nicht einfach so und ohne Grund, entweder er hetzt oder er sitzt. Zum Flanieren braucht er entweder ein Ereignis oder einen Vorwand. Typischerweise geht er auf den Wochenmarkt. Der findet im Kiez statt, da fühlt er sich sicher, und dort läßt sich das Praktische mit dem Nützlichen verbinden. Man kauft ja ein und steht nicht nur dumm rum. Und selbst, wenn weit und breit am Kudamm alle Geschäfte geschlossen sind, der einheimische Bummler hat immer irgendetwas dabei: eine Tüte, eine Tasche, einen Rucksack oder ein Skateboard.

Das hebt ihn aus der Masse heraus, und auf dem Kudamm ist er die Ausnahme. Der Boulevard schlechthin ist schon lange von ihm als Flanierfläche aufgegeben worden. Schritt für Schritt und auf den eigenen Beinen laufen da nur Westdeutsche vor sich hin. Dabei könnte der Berliner nirgends besser als dort Nachhilfe in Sachen Gemütlichkeit nehmen (mensch, wat hackste denn so uff uns berlina rum, gibt doch kaum noch welche hier. Die, wo du beschreibst, sind doch eh alles wessis. sezza). Weil die Fußgängerzone in Bad Driburg so groß auch nicht ist, kann man sich ruhig Zeit lassen. Es geht immer schön bedächtig vorwärts, und drüben fällt es auch nicht auf, wenn man stehenbleibt. Eine andere importierte Eigenschaft: Man geht nicht allein, sondern mindestens zu zweit, und je mehr, desto besser. Das hat den entscheidenden Vorteil, sich während des Laufens etwas erzählen zu können. Die Gesprächsinhalte schlüsseln sich nach Altersgruppen auf: Junge Menschen erzählen davon, was sie sehen, ältere davon, was sie schon alles so gesehen haben. Besonders beliebt sind Krankheiten und Erbschaftsangelegenheiten, bloß eins interessiert Westdeutsche jeglichen Alters überhaupt nicht: der Inhalt von Schaufensterdekorationen. Wahrscheinlich würden sie erst aufmerksam, wenn alle Schaufenster vernagelt wären, aber so bleiben sie den wenigen Berlinern vorbehalten, die auch nichts besser wissen, als was die Nachbarn schon alles haben.

Das ist wenig großstädtisch, und richtig großstädtisch ist es nur, mit dem Auto zu flanieren, am besten im Cabrio. Das ist vielleicht pervers, aber andererseits mindestens ebenso unzeitgemäß wie das Flanieren, und soll deshalb demnächst verboten werden, das Autofahren, nicht das Flanieren, in Fußgängerzonen. Für diesen Fall bin ich bereits bestens gerüstet: Mit einem Mofa ist man mobil, ein ernstzunehmender, weil motorisierter Verkehrsteilnehmer und kommt trotzdem überall da durch, wo Autofahren schon jetzt verboten ist.

Lutz Ehrlich