Am Pfingesten so blau wie ein FDJ-Hemd...

■ Die Jugend läßt sich beim Feiern im Palast der Republik nicht stören

Der Mann im Glaskasten ist mir vom Sehen bekannt. Mit lässiger Routine streift sein Blick durchs Halbprofil im Paßbild. Mein Foto sei etwas verschwommen, ich solle mal eben mit den Ohren wackeln. Danke. Tak tak tak. Er drückt auf den Türsummer und ich bin durch.

Hinter der Zwangsumtauschstelle filzen sie gerade zwei gutgekleidete Türken - mehrere hauchdünne Plastiktüten werden zutage gefördert. Sextourismus im preisgünstigen Verhältnis 1:6.

Mein Kumpel erwartet mich hinter der Absperrung im S -Bahnhof Friedrichstraße. Ein Bruderkuß auf seine Glatze, und er schiebt mir eine halbe Flasche Radeberger in den Hals. In seiner Bomberjacke und den Doc-Martins-Stiefeln könnte man ihn leicht mit einem Skin verwechseln. Aber wir sind hier nicht im Westen, und außerdem trägt er ein T-Shirt von den Toten Hosen. Feierlich überreicht er mir ein FDJ -Hemd mit Abzeichen. Es ist so blau, wie ich es niemals sein könnte. Und der Stoff fühlt sich an wie ein erhitzter Plastikmüllsack. Auf den Straßen ergießt sich ein Ozean aus Blauhemden. Ich tauche ein in die machtvolle Demonstration kollektiven Vergnügens. Der evangelische Kirchentag nimmt sich dagegen wie ein Schützenfest aus. Bis zum Alexanderplatz bringen wir eine Flasche Ballentines zur Leber. Ein paar neue Glatzen haben sich dazugesellt. Wir werden begafft wie der Ayatollah im seidenen Nachthemd in einer Sauna.

Endlich erreichen wir den Vergnügungspark der FDJ -Bezirksgruppe Cottbus. Live-Musik, Holzschnitzereien, Bier aus Gläsern, Schweinefleisch mit Soße, Informationsbroschüren zum Thema Jugend im Sozialismus. Eine der Glatzen fängt an zu lästern. Unser soziales Netz hat keine Löcher, sagte die Spinne und mästete die Fliege. Ich schnippe ihm eine vom Schädel. Weiter geht es von Zelt zu Zelt in Richtung Palast der Republik. Eine Gruppe sowjetischer Soldaten kreuzt unseren Weg. Ohne Trittbefehl stehen sie auf verlorenem Posten. Dafür müssen wir jetzt gerade stehen. Vor dem Palast hat sich das Zentralkomitee aufgebaut. Ein fröhlicher Erich Honecker lächelt hinunter ins Blau. Jetzt geht sie los, die internationale Polonaise. Von Warnemünde bis hin nach Bitterfeld. Schunkeln für den Frieden. Tritt ein in die Arbeitereinheitsfront, tritt nicht daneben, tritt mittenrein. Starke Gefühle wärmen mein Herz. Hätte Erich seine karierte Jacke angezogen, ich würde ihm bedingungslos folgen. So aber folgen wir der Macht unseres Schicksals, besorgen uns im Intershop Eierlikör. Bald klebt alles. Der Mund, die Hände, das Gehirn.

Vor dem Haus der jungen Talente kämpfen Hunderte Genossen um Einlaß. Mein Kumpel hat eine gute Idee und stellt uns als Mitglieder einer Rock-Gruppe vor, deren Auftritt gleich bevorsteht. So gelangen wir schnell ins Zentrum der Kultur. Angebot auf allen Etagen. Der Computerclub stellt neue Formen der sozialistischen Kommunikation vor. Rein in die Partei, raus aus der Datei. Im Innenhof trällert eine Trachtentruppe aus Sachsen-Anhalt volkseigene Weisen zwischen die Bierstände. Wir steigen jetzt auf Sekt um, russische Abfüllung. An einem Tisch sitzen zwei junge Mädchen und beschäftigen sich verlegen mit ihren Zigaretten. Wir peilen auf die leeren Stühle, die sie schützend um sich herum gestellt haben. Die seien besetzt, mault die Rothaarige. In astreinem Sächsisch. Das sprengt Löcher in unsere stumpfen Köpfe. Sämtliche Berliner Schnauzen werden gleichzeitig aufgerissen, und ein Schwall bösartiger Sachsenwitze schwillt den Mädchen um die Ohren. Die von mir eingeworfenen Ostfriesenwitze verblubbern in der Tiefe der Sektflasche.

Nachdem die Mädchen wieder ins Tal der Ahnungslosen zurückgestoßen sind, ab zur Disko. Hier brennt die Luft, die Fasern des Hemdes ätzen sich durch meine Haut. Der Diskjockey kündigt eine neue Scheibe an. Jetzt käme Acid -Haut, meint er. Und es kommt über mich. Im Vollrausch taumele ich aufs Parkett, stoße brave Bürger zur Seite. Jetzt mal zeigen, was Acid wirklich ist. Mit einem Brunftschrei reiße ich mir das Blauhemd von der Brust. Zecher erscheint in der Menge. Ein Feuermal ziert seine Stirn, der neue Führer des gemeinsamen europäischen Acid -House.

Der Diskjockey dreht die Musik leise. Dafür zeige ich ihm den Kreuzberger Mittelfinger. Dafür zeigt mir der Vorsitzende der FDJ-Ordnergruppe den Weg zur Tür. Draußen werde ich von mehreren Genossen in Empfang genommen. Zwei links, zwei rechts, einer vorne, einer hinten. Hier fällt keiner die Treppe runter, selbst wenn er so unangenehm aufgefallen ist. Vor dem Eingang werde ich dem HDJT-Leiter vorgestellt. Sie hätten den Auftrag, mich vor die Tür zu bringen. Das ginge dann in Ordnung, meint der Leiter. Der Vorgang wird notiert, das (...) verschwindet wieder unter dem FDJ-Hemd... (Den letzten Satz habe ich nicht mehr verstehen können, der Autor hätte sich mal die Nase putzen sollen. der Setzer)

Der Zecher