Tibet-betr.: Leserbrief, taz vom 27.4.89

betr.: Leserbrief,

taz vom 27.4.89

(...) Tibet war nie Bestandteil des chinesischen Staates. „Tibet genoß den Status eines relativ liberalen Protektorats...“ schreibt der Sinologenpapst Jacques Gernet in dem Standardwerk Die chinesische Welt (S.406) zur Geschichte während der Quing-Dynastie (1644-1911), auf die die Chinesen - man kann es fast nicht glauben - ihren Herrschaftsanspruch herleiten. Wenn sie nicht die Tang-Zeit bemühen (618-907). Doch für die Qing-Dynastie schreibt Gernet auch: “... die meisten Länder Asiens (Nepal, Burma, Siam, Vietnam, die Philippinen, die Ryukyu-Inseln, Korea) anerkannten die Oberhoheit an und waren mehr oder weniger von China abhängig.“ Tibet war China tributpflichtig, aber das waren auch Länder wie Holland und England, weil es die einzige Form war, mit den chinesischen Kaisern Kontakt aufzunehmen.

1912 erklärte sich Tibet für unabhängig. Nach Ansicht des wissenschaftlichen Dienstes der Bundesregierung - die ja bekanntlich an Chinas Souveränität nicht zweifelt - war Tibet damit spätestens ein unabhängiger Staat. Es hatte zwar fast keine Außenkontakte, aber ähnlich geht es Bhutan. Und keine noch so eurozentrierte Politik würde Bhutan heute sein Existenzrecht abschlagen.

Als China dann 1950 einmarschierte und Massenmorde veranstaltete, stellte dies nach internationalem Recht keine „Aneignung eines rechtmäßigen Gebietstitels“ dar. Sonst könnte nämlich heute auch noch jeder seinen Nachbarn überfallen und sagen, das gehört zu uns, vergleiche Afghanistan und Kambodscha.

Und warum bitteschön soll man sich bei Menschenrechtsverletzungen in China „speziell“ nicht einmischen dürfen. Menschenrechtsverletzungen sind immer innere Angelegenheiten irgendeines Landes, ob in Südafrika oder in China. Man muß sich geradezu einmischen. Die VR China ist kein Kind oder ein Heiliger, der dauernd drohen darf, daß er nicht das Gesicht verlieren darf, sondern seit 40 Jahren Mitglied der internationalen Gemeinschaft. China muß verdammt noch mal endlich die Regeln dieser Gemeinschaft anerkennen. Wenn es um Geldverdienen geht, klappt's doch auch.

Auch ist der Dalai Lama kein Papst oder Bagwhan, sondern unter Politikern der Welt anerkannter Kämpfer für Menschenrechte. Die Verhältnisse im alten Tibet findet er selbst nicht gut, deswegen hat er schon 1950 als junger Mann eine Reformkommission eingesetzt und die Schuldknechtschaft und ähnliches abgeschafft. Dieser Prozeß wurde von den chinesischen Eroberern bekanntlich gestoppt. Dafür hat sich das tibetische Volk im Exil schon 1963 eine demokratische Verfassung gegeben - mit Quotierung übrigens. Nach dieser Verfassung kann der Dalai Lama als Staatsoberhaupt auch abgewählt werden. Die chinesischen StudentInnen in den Straßen von Beijing können nur davon träumen, dem chinesischen Gottkönig, Deng Xiaoping, vor seinem Lebensende loszuwerden.

Ni Bendan, Berlin