The Independent

■ Whittam Smith, Chefredakteur, London

„Gegründet: 1986, 260/270 Angestellte (im redaktionellen Bereich); Auflage: 403.000; 2,8 Leser per Stück. 32-40 Seiten pro Ausgabe. Anzeigenanteil an Finanzierung: 60 Prozent.

In einem Markt von Zeitungen mit starken politischen Bindungen oder Anlehnungen stehen wir - als Independent - mit unserer Unabhängigkeit ziemlich allein; das ist aber auch der Schlüssel zum Erfolg. Unabhängigkeit ist unsere politische Position.

Wir haben besser als andere zu interpretieren gewußt, was jüngere Leute als Zeitungsinformation erwarten. Es gab seit hundert Jahren keine erfolgreiche Neugründung auf dem britischen Zeitungsmarkt; wir waren der erste 'newcomer‘ nach langer Zeit - das hat die Durchsetzung vieler Innovationen ermöglicht. Moderne tägliche Nachrichtenkommunikation bedeutet für uns, sehr viel Analysen anzubieten, und deshalb spielt 'investigative journalism‘ eine ganz große Rolle. Das ist unser tägliches Brot - Skandale, Boulevardjournalismus oder Klatsch haben wir nicht nötig. Wir haben ziemlich wenige 'freie Autoren‘. Sie schreiben bei uns selten, gelegentlich als Kommentatoren.

Wenn wir Bilder bringen, dann sehr groß. Ein großes Schwarzweiß-Bild ist genauso wirkungsvoll wie ein farbiges Fernsehbild.

Journalisten sollten ihre persönliche Unabhängigkeit bewahren und nicht von Public-Relations-Praktiken beeinflußt sein. Wir haben unseren Redakteuren die Teilnahme an fremdbezahlten Reisen und Übernachtungen verboten. Einladungen zum Essen dürfen nur angenommen werden, wenn man in der Lage ist, selbst zu zahlen.

Die wichtigsten Themen für uns sind: Glasnost und Perestroika, Abrüstung und militanter Islam; dazu die Umweltprobleme. Generell sind die internationalen Themen dieser Art für uns von größerer Bedeutung als die rein britischen.

Es gibt aber keine Tabuthemen. Grenzen der Berichterstattung gibt es hinsichtlich des Umgangs mit der Sprache und der Bilder - beides darf nicht roh, unfair, niveaulos sein. Das gilt vor allem für Gewalt. Sex ist für uns kaum ein Thema.

Ich verstehe mich weniger als Diktator, mehr als Impresario. Das wichtigste persönliche Element erfolgreichen Journalismus ist Charisma - das gehört zum Professionalismus. Vor allem muß man seine Leser kennen; und man braucht eine junge und engagierte Truppe.

Europa als Thema spielt eine große Rolle. Vor diesem Hintergrund haben wir unsere Zusammenarbeit mit der 'Süddeutschen Zeitung‘, 'La Repubblica‘, 'El Pais‘ ausgebaut - und wir kooperieren auch mit 'Le Monde‘ und 'Le Soir'; so werden wir gemeinsam ein Interview mit Präsident Mitterrand führen. Europa, besonders Westeuropa, wird immer wichtiger für uns und unsere Leser. Das gehört fast zum Zeitgeist, es gibt da eine atmosphärische Umorientierung.“