„Mal wieder die alten Lieder singen“

Auf dem Pfingsttreffen der FDJ alles kunterbunt / Obst und Traubenzucker für die Jugend Nur wenige lauschen Honey / Unbequeme Fragen, aber mildes Verständnis für die alten Kämpfer  ■  Aus Ost-Berlin K.-H. Donath

„Horch was kommt von draußen rein, hollahi, hollaho...“, intonierte der Chor der FDJ auf der Manifestation des DDR -Jugendverbandes anläßlich seines gigantischen Pfingsttreffens in Ost-Berlin. 500.000 Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren aus der ganzen Republik waren für drei Tage gekommen. Das Bild, das die zigtausend Jugendlichen auf dem Marx-Engels-Platz boten, erinnerte mehr an ein Volksfest und Schlachtenbummler als an ein ehererbietiges Treuebekenntnis zu Staat und Partei. Hatte man bei ähnlichen Anlässen vor geraumer Zeit noch die FDJ, als „Kampfreserve der Partei“, nach militärischem Muster aufmarschieren lassen, ging diesmal alles kunterbunt durcheinander.

Auch als der Staatsratsvorsitzende Honecker das Wort ergriff, wurde es unten im Rund nicht ruhiger. Die FDJler hatten sich anderes zu erzählen: „Eigentlich hätte ich von der Rede gerne mal was abgekriegt, aber die Stimmung bei uns hinten war einfach so gut“, meinte ein Schweriner Oberschüler. Die ritualisierten Demonstrationen des Einheitsbeweises beschränkten sich auf ein erfreulich knapp gehaltenes Rahmenprogramm. Es hatte fast den Anschein, als hätten sich beide Seiten stillschweigend darauf geeinigt, „daß jeder sein Ding so durchzieht, wie es ihm gefällt“. Nichts symbolisierte Generationsunterschiede und veränderte Bedürfnisse deutlicher als die erschreckend zittrige Stimme des Generalsekretärs, der die Jugend heroisch mahnte: „Ihr seid diejenigen, die den Stab des Sozialismus über die Schwelle des Jahres 2000 tragen.“

Gleichklang stellte sich gegen Ende ein, als man gemeinsam die „Internationale“ und FDJ-Lieder aus der Aufbauzeit „Bau auf, bau auf... Freie Deutsche Jugend bau auf“ anstimmte. Das hat vielen Spaß gemacht: „Mal wieder mit allen die alten Lieder singen, ist ein schönes Erlebnis“, so ein achtzehnjähriger Schüler.

Die SED hat sich dieses alle fünf Jahre stattfindende Spektakel 50 Millionen Mark kosten lassen. Jeder Teilnehmer erhielt neben Freifahrtkarten für die Nahverkehrsmittel Essensmarken, die er überall einlösen kann, jeden Tag auch einen „Freßbeutel“, gefüllt mit Plastikbesteck, Brötchen, Wurst und Käse, Obst und Traubenzucker. Der Staat sorgt sich um seine Jugend, und das wissen viele zu schätzen. Mag es auch häufig den gegenteiligen Anschein haben. Das Programm mit mehr als tausend verschiedenen Veranstaltungen über ganz Ost-Berlin verteilt, bot für alle etwas: Rock und Klassik, Filmretrospektiven, einen historischen Markt im Nikolai -Viertel, Lesungen, Artistik, Theater. Selbst die „alternative Szene“ aus dem Prenzlauer Berg tanzte beim „Treff mit Rosa am Rosa-Luxemburg-Platz“ unter dem Dach der FDJ mit, so als gäbe es keine Berührungsängste. Eine gigantische Integrationsleistung könnte man denken.

Der Eindruck, es handele sich dabei um die unpolitische Veranstaltung einer entpolitisierten Jugend aber trügt. In zahlreichen Diskussionsveranstaltungen („Wie angenehm ist uns der Widerspruch?“) sind die FDJler hart zur Sache gegangen, die offiziellen Gesprächspartner hatten selten was zu lachen. Mangelnde Freizügigkeit, das Wahlsystem, fehlende Reisemöglichkeiten, Versorgungsmängel, die Abschottung gegenüber der UdSSR, Aufarbeitung der eigenen Geschichte und Fragen nach den Gründen, warum soviele die DDR verlassen („und nicht nur dumme Leute“) wurden auf allen Foren gestellt. Die Tabus fielen: auch in Schule und Universität würde mittlerweile sehr offen diskutiert, meinten alle. Nur kämen nicht immer Antworten, die auch zufriedenstellend seien. Ganz anders als in Polen oder Ungarn scheint es so, als könne die Staatsführung der DDR trotz aller Kritik auf ihre Jugend bauen. Sie kritisiert, aber bleibt loyal, sie bringt sogar Verständnis für die „alten Kämpfer“, ihre Errungenschaften“ und Motive auf. Für die meisten steht der Sozialismus nicht zur Disposition.