„Chinas Intelligenzija mag Gorbi auch“

Mit zurückhaltendem Optimismus betrachtet Professor Huang Zongliang, Sowjetexperte der Pekinger Universität, den Besuch Gorbatschows in China  ■ I N T E R V I E W

Professor Huang Zongliang, Sowjetunionexperte an der Universität Peking, über den chinesischen Optimismus.

taz: Was halten Sie vom Gipfel?

Huang Zongliang: Der Besuch von Gorbatschow ist ein herausragendes Ereignis der internationalen Politik. Das internationale Klima der Entspannung und des Dialogs wirkt sich auf die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und China aus. Die Außenpolitik Gorbatschows und wesentliche Fortschritte bei der Überwindung der „drei großen Hindernisse“ machen eine schrittweise Normalisierung möglich. Das Motto der neunziger Jahre heißt: friedliche Koexistenz. Wenn Deng Xiaoping sagt, es wird nie mehr eine so enge Zusammenarbeit wie in den fünziger Jahren geben, so meine ich, daß dem folgendes hinzuzufügen ist: Die Beziehungen werden auch nie mehr so vergiftet sein wie in den sechziger und siebziger Jahren.

Sind die „drei großen Hindernisse“ tatsächlich überwunden?

Die drei Hindernisse werden zwar immer in einem Atemzug genannt, aber es handelt sich dabei um sehr unterschiedliche Probleme. Aus Afghanistan sind die Russen bereits abgezogen. Während die Sicherheitsfrage an der nordchinesischen Grenze ein direktes Problem zwischen beiden Ländern ist, tangiert die Besetzung Kambodschas durch Vietnam etliche Staaten. Die Sowjetunion kann Druck ausüben, aber den Vietnamesen keine Befehle erteilen. Für die relativ kurze Zeit sind die erzielten Fortschritte beachtlich.

Welche Erwartungen verknüpfen Sie persönlich mit dem Gipfel?

Vorsichtig optimistische; vorsichtig deshalb, weil die Normalisierung ein langfristiger Prozeß ist, der nicht durch einen Gipfel plötzlich erfolgreich abgeschlossen werden kann.

Gorbatschow kommt in einer Zeit, in der die Studentenbewegung für Unruhe sorgt. Hat sein Besuch innnenpolitische Auswirkungen?

Natürlich gibt es eine Resonanz auf den Besuch, besonders unter den Intellektuellen, aber die aktuelle Entwicklung wird davon nicht beeinflußt. Gorbatschow genießt als mutiger politischer Reformer viel Sympathie bei der chinesischen Intelligenz, aber Perestroika hat für die Geburt unserer Studentenbewegung kaum eine Rolle gespielt. Die Reformprozesse in China und der Sowjetunion beeinflussen sich zwar wechselseitig, aber die politischen und wirtschaftlichen Systeme und damit die Voraussetzungen und Erfordernisse beider Länder sind doch sehr verschieden. Nehmen Sie die Versorgung mit Konsumgütern, das technologische Niveau oder die Tatsache, daß es in der Sowjetunion keine Inflation gibt. Dennoch gibt es sowjetische Erfahrungen, die China aufgreifen sollte, zum Beispiel die Stärkung der Stellung des Parlaments, ein für die Demokratisierung sehr wichtiges Element. Oder die Reform des Kaderwesens, mit der die Verknöcherung des Apparats aufgebrochen werden kann.

Was halten Sie von der Einladung der Studenten der Pekinger Universität an Gorbatschow?

Sie zeigt das Interesse und die Sympathie der Studenten für Gorbatschow, aber er kann wohl nicht kommen. Man hat ihn mit der Einladung in Verlegenheit gebracht. Er wird mit der Regierung Gespräche führen und sich hüten, etwas zu unternehmen, was als Einmischung in die internen Angelegenheiten Chinas ausgelegt werden könnte.

Das Interview führte Thomas Reichenbach