Kollektive Kaffee-Ernte

■ Pekinger Inspirationen für Perestroika

Ein sowjetischer Journalist, der zum ersten chinesisch -sowjetischen Gipfel seit 30 Jahren nach China gereist war, traute seinen Augen nicht: „Ich dachte nicht, daß östlich von uns auch ein westliches Land liegt.“ Während die streikenden chinesischen Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens lauthals politische Reform a la Gorbatschow fordern, sind die Sowjets begeistert von den Früchten der Wirtschaftsreform im Reich der Mitte.

„Voneinander lernen“ - mit diesem Slogan charakterisiert Moskau den offiziellen Zweck der Reise Gorbatschows nach China. Die UdSSR ist in erster Linie an Auskünften über die chinesischen Wirtschaftsreform interessiert. Wurde den an Entbehrungen gewöhnten Sowjetbürgern zum 1.Mai noch der Zucker rationiert, so sind in der Volksrepublik China westliche Konsumgüter und japanische Autos längst kein Sakrileg mehr. Schon seit zehn Jahren wirtschaften die chinesischen Bauern auf eigene Rechnung. Von den vollen Märkten, die als Folge daraus entstanden, kann der sowjetische Partei- und Staatssekretär vorläufig nur träumen.

Dennoch hat sich der wirtschaftliche Austausch zwischen den einstigen sozialistischen Bruderländern in den Zeiten von Glasnost und Perestroika wieder gemausert. Den fünften Platz belegt die UdSSR mittlerweile wieder in der Außenhandelsstatistik der VR China. Der gesamte Warenaustausch soll sich im letzten Jahr auf umgerechnet 4,6 Milliarden Mark belaufen haben. Der rasante Anstieg des wirtschaftlichen Austauschs zwischen den beiden Riesenreichen läßt sich besonders am kleinen Grenzverkehr ermessen, der seit 1983 wieder geduldet wird. Der Warenaustausch wuchs seitdem von 22 Millionen Schweizer Franken auf 800 Millionen Franken im letzten Jahr.

Doch nach dem Treffen zwischen Gorbatschow und dem chinesischen Starken Mann Deng Xiaoping soll sich das ändern. Auf der südchinesischen Insel Hainan ist bereits eine gemeinsame Kaffeefarm entstanden. Sowjetische Techniker sollen wieder einige der Stahlwerke auf Vordermann bringen, die seit dem Abzug der russischen Berater 1960 vor sich hinrotten.

Jürgen Kremb