SCHÖNER SPRENGEN

■ „Laura und Lotte“ im Renaissance-Theater

Vor ein paar Jahren kam die Schauspielerin Maggie Smith zu dem Männerstücke schreibenden Peter Shaffer und beklagte sich, daß es für Schauspielerinnen mittleren Alters nur wenige Rollen gäbe. Daraufhin schuf Shaffer die Komödie von Lettice und Lovage. In der deutschen Erstaufführung hatte Laura und Lotte nun am Renaissance-Theater Premiere.

Zwei Frauengestalten treffen wie Feuer und Wasser aufeinander und führen autobiographisch-philosophische Gespräche. Lotte, Chefin des Personalbüros einer Konservierungsgesellschaft für historische Denkmäler, verkörpert das „Prinzip der Ordnung“, durchrationalisiert und streng in ihrer Rolle. Laura ist ihre Angestellte, eine Fremdenführerin in einem Hause der Tudors, das so arm an historischen Begebenheiten ist, daß Laura munter die Geschichten dazuerfindet, die dem Hause fehlen ( lebendig gewordenes „Prinzip Phantasie“).

Architektur ist nämlich Lottes großes Gebiet. In ihrer Jugend gründete sie das „Anti-Ungeist-Sprengkommando“ und wollte ein besonders ungeistiges Häuser-Monstrum des Shell -Konzerns in die Luft jagen. Natürlich führte sie die Tat in letzter Minute doch nicht aus, sonst könnte das Stück nicht am Renaissance-Theater aufgeführt werden. Für alte Baudenkmäler dagegen kann Lotte schwärmen. Das ist wahre Architektur! Natürlich geht Lotte nicht so weit, zu fragen, worin die moderne „Ungeist-Architektur“ ihre Notwendigkeit hat. Sonst müßte sie auch die Bauten der Vergangenheit etwas kritischer betrachten, und die BühnenbildnerInnen hätten nicht so schicke, wurmstichige Tudor-Treppenhäuser Photocollage moderner Ätzarchitektur gegenüberstellen können.

Liebreizend wie Lottes Leidenschaft für eine geistvollere Architektur ist auch ihr gemeinsames Hobby mit Laura. Laura und Lotte spielen Exekutionen nach, natürlich nur die Feinsten, wie die von Maria Stuart und Karl I., die beide würdig dem Tod entgegenschritten und ihre Feinde damit beschämten. Das erhebt. Das befreit, das bereichert. Zum Tode verurteilte stolze HerrscherInnen sind per se gute Menschen. Hat Peter Shaffer seine Männer genauso dummes Zeug spielen lassen?

Immerhin gesteht das Stück Laura und Lotte die Fähigkeit zu, zu erkennen, daß ihr Laientheater in Lauras Souterrain mindestens „rückwärts gewandt“ ist und sie kein bißchen weiterbringt. Warum, das fragen sich die beiden nicht. Schrullige Damen legen schrullige Hobbys ab oder eben nicht. Die in fließende Theatergewänder gehüllte Laura hat eine Katze, ägyptischen Stammbaums natürlich, und Lotte, im grauen Beamtenkostüm, hat die passende Allergie gegen sie. Laura ist unfähig, einen Kassettenrekorder Baujahr 1970 auf Aufnahme zu schalten, und beide glauben an ihre genetische Determination. So wie Lotte ihre Bürokratenmentalität vererbt bekam, so liegt Laura das Theater im Blut. Ursula Heyer, die für Waltraud Herbst, für Christine Wodetzky, für Witta Pohl innerhalb von vierzehn Tagen das Stück einstudieren mußte, und Judy Winter gehen unter der Regie von Barbara Basel ganz in ihren Klischees auf und spielen so glatt, als hätten sie Oil of Olaz getrunken.

Zum Schluß verläßt Lotte ihre Stellung und will mit Laura ganz selbstbestimmt ein alternatives Stadtrundfahrtunternehmen gründen, das die TouristInnen zu den häßlichsten Gebäuden der Stadt führen soll, auch in die Empfangshalle des Shell-Konzerns, fabelt Laura.

Für Berlin-TouristInnen hat das Programmheft gleich eine Liste mit „besonders häßlichen Bauten in Berlin“ zusammengestellt: Steglitzer Kreisel, Kunstgewerbemuseum, Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße. Ja, ja, früher war alles schöner, humaner, geistvoller; das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig zum Beispiel, der Kölner Dom, Schloß Neuschwanstein, die malerischen Mietskasernen, die Baracken vor den Toren der Barockstadt Dresden, die Festungen der Dresdner Herren Richtung Sächsische Schweiz, usw...

Claudia Wahjudi