„Vielleicht so eine Art Räterepublik oder so“

■ Überlegungen eines 25jährigen Kreubergers zu dem Krawall am diesjährigen 1.Mai / Was Kreuzberg mit dem Baskenland zu tun hat, warum Uniformträger keine Menschen mehr sind und wie man mit Steinewerfern umgeht, die jetzt „aus dem Alter raus“ sind / Privatwagen als Barrikaden muß der Senat bezahlen

taz: Was hast du erwartet, als du zur 1.Mai-Demo und zum Fest auf dem Lausitzerplatz gegangen bist?

X: Daß es ganz normal und friedlich ablaufen würde.

Hast du nicht mit Randale gerechnet?

Erst eigentlich nicht. Aber ich hatte gehört, daß in der Nacht zuvor schon einiges lief bezüglich „Penny“ und Hausbesetzungen.

Hast du die Randale denn erhofft?

Nö.

Hast du dich vorbereitet?

Ja. Ich habe natürlich für entsprechende Einwirkungen der Polizei gewisse Maßnahmen getroffen.

Wann hast du auf dem Lausitzerplatz mitbekommen, daß es losging?

Ich war am Spreewaldbad auf dem Hügel, den die Bullen versucht haben zu stürmen, und wir dann immer so dagegen...

Wer war deiner Meinung nach der Angreifer?

Die Bullen waren die Angreifer, ganz klar. Die wollten auf den Berg und die Leute von den Barrikaden vertreiben.

Hattest du mitbekommen, warum es losgegangen war?

Nein. Ich hab erst später erfahren, daß die Bullen das Lausitzerplatzfest gestürmt hatten, weil Getränke-Hoffmann geplündert worden war.

Daß in der Manteuffelstraße Autos in Brand gesetzt worden waren, hast du nicht gehört?

Nee.

Was hast du davon gehalten, daß Barrikaden gebaut wurden?

Für mich war das quasi so ein kleines Kinderspiel. Wenn die Bullen gewollt hätten, dann hätten sie da voll reinhalten können. Die wollten nicht voll reinhauen, sondern ein kleines Spielchen machen.

Was wolltet ihr denn? Wolltet ihr spielen, oder ging es euch um etwas Ernsthaftes?

Natürlich ging es den Leuten um etwas Ernsthaftes. Das ist einfach ein Risiko, wenn du solche revolutionären Maßnahmen ergreifst.

Was hätte am Ende der „revolutionären Maßnahmen“ stehen sollen?

Der Sturz des Senats. Wenn alle Leute mitgemacht hätten oder wenn es eine ganze Masse gewesen wäre. Immerhin waren ja schon viel mehr Leute dabei als es sonst jemals gewesen waren.

Sturz des Senats und dann?

Vielleicht so eine Art Räterepublik oder so...

Hast du dir das erwünscht?

Ja, das wünsche ich mir schon lange.

Was wäre dann anders und besser geworden?

Ziemlich viel. Zum Beispiel das ganze Knastssystem, Isotrakte und so weiter, Plötzensee, die ganzen Neubauten. Daß nur noch für Leute, die man selbst als Schwerkriminelle bezeichnet, Gefängnisse oder therapeutische Stätten bestehen. Und dann natürlich der gesamtgesellschaftliche, gerechte Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Einkommen...

Was sind denn Schwerkriminelle?

Mörder, Vergewaltiger etc., Wirtschaftsstraftäter natürlich auch.

Das wäre also deine Vison gewesen, wenn es erfolgreich verlaufen wäre und alle mitgemacht hätten. Aber das wäre von vornherein auf Kreuzberg beschränkt gewesen?

Das hätte sich dann natürlich ausgeweitet. Das hat man zum Beispiel auch schon bei der Münchner Räterepublik oder 1918 in Berlin gesehen...

Einerseits sagst du, die Polizei hätte dem Spuk schnell ein Ende machen können, wenn sie gewollt hätte, anderseits sagtst du, es hätte sich ausweiten müssen wie 1918. War das für dich eine reale Hoffung am 1.Mai?

Nach der gesamten Einschätzung war es schon eher eine phantastische Vorstellung. Erreichbar wäre es wahrscheinlich hier im Mai nicht gewesen, aber vielleicht ist es ja in der Zukunft der Fall.

Sind die Ereignisse wie die am 1.Mai denn deiner Einschätzung nach ein Wegbereiter dahin?

Selbstverständlich. Man muß den Mächtigen zeigen, daß eine Gewalt von unten existiert, daß da Leute sind, die etwas anderes wollen als die Mächtigen hier.

Nun hoffen ja viele Leute, daß der neue Senat mehr soziale Gerechtigkeit schafft.

Wir kennen das von der SPD schon seit zig Jahren, daß sie versuchen, das gesellschaftliche System auf diese Weise zu ändern, bisher aber im Grunde genommen nur dazu beigetragen haben, daß revolutionäre Bewegungen verharmlost werden.

Was sagst du zu dem Argument, die Krawalle haben letzlich den Rechten bis hin zu den „Republikanern“ geholfen?

Das hängt natürlich auch davon ab, inwieweit sich die Linke von solchen Argumenten beeinflussen läßt. Ich weiß, daß Leute, die ein gewisses Bewußtsein haben, sich auch dadurch nicht beeinflussen lassen.

Macht es dich überhaupt nicht nachdenklich, daß sich die Linken - wie noch nie - von dem 1.Mai-Krawall distanzieren?

Daß sie sich davon distanzieren, finde ich voll Scheiße. Aber ich finde es gut, von allen Seiten her über solche Aktionen zu diskutieren.

War der Sinn der Aktion die organsierte Provokation der Regierung oder daß man womöglich in Kreuzberg für ein paar Tage einen polizeifreien Raum erkämpft?

Für mich persönlich gesehen wäre beides wichtig gewesen.

Und für die Mehrheit der übrigen Steinewerfer?

Zeichen setzen, um zu zeigen, in welcher Stärke die revolutionäre Bewegung vorhanden ist. Das halte ich zur Zeit sowieso für sehr wichtig.

Warum?

Wegen dem Hungerstreik. Das hört man ja aus den letzten Meinungsäußerungen, zum Beispiel von Vogel, der sagt, wir können uns das nicht erlauben, macht da jetzt mal Kleingruppen in Berlin und so weiter. Ich meine, das hat schon Wirkung gezeigt, diese ganzen Aktionen.

Hätte es die Krawalle nicht gegeben, wenn die Forderungen erfüllt worden wären?

Nein, ganz gewiß nicht, aber der Hungerstreik trug natürlich dazu bei, daß die Leute ein bißchen mehr revolutionäre Gewalt gezeigt haben.

Gehst du davon aus, daß man für die Revolution die Massen braucht, oder kann sie auch mit einer elitären kleinen Gruppe realisiert werden?

Selbstverständlich braucht man die Massen. Aber eine kleine, elitäre Gruppe kann damit anfangen, sie zu mobilisieren.

Nun habt ihr die Massen - die Kreuzberger Anwohner - nicht nur nicht erreicht, sondern richtiggehend gegen euch aufgebracht.

Ich halte das von der taz für eine ziemliche Meinungsmanipulation, die sowieso ziemlich oft betrieben wird.

Du glaubst also, in Wirklichkeit haben die Kreuzberger gar nichts dagegen?

Natürlich gibt es viele Kreuzberger, die was dagegen haben, aber die sind sicherlich auch ziemlich manipuliert. Die kriegen das gar nicht so mit, in welcher Scheiße sie drinstecken, schätze ich mal. Es gibt natürlich immer Leute, die gegen solche Aktionen sind. Faschisten hat's schon immer gegeben.

Nun sind die Bewohner des Kerngehäuses und die Kreuzberger Nachbarn, die in der taz Erklärungen veröffentlicht haben, aber Linke.

Das sind Pseudolinke. Die wollen den reformistischen Weg gehen, der jahrzehntelang gezeigt hat, daß er zum Gegenteil führt.

Und die Stimmung dieser Leute gibt dir keinen Anlaß zu überlegen, ob Ihr Fehler gemacht habt?

Ja, selbstverständlich. du mußt quasi so eine Art Zwischenweg suchen. Das heißt, wieder Kompromisse eingehen mit Leuten, die nicht mehr dazu bereit sind, Steine zu werfen. Vielleicht weil sie aus dem Alter raus sind und sich sagen: Ja, ich hab jetzt meinen Beruf, ich brauch jetzt meine Sicherheit und kann mir diese Art und Weise des Kampfes nicht mehr erlauben. Darauf müssen wir in Zukunft mit eingehen.

Und wie könnte das aussehen?

Ich habe bisher noch nicht direkt darüber nachgedacht. Aber es wäre wahrscheinlich ganz gut, die Leute so mit einzubeziehen, wie das im Baskenland geschieht, wo es Leute gibt, die den legalen und den illegalen Weg gehen und sich nicht gegenseitig bekämpfen durch solche Äußerungen, sondern das auch befürworten.

Aber im Baskenland werden auch nicht die Dörfer der Basken zerstört, sondern die Einrichtungen der spanischen Zentralregierung. Ihr hingegen zerstört die Geschäfte und Autos der Kreuzberger.

Das halte ich auch nicht für gut. Rein persönlich gesehen finde ich es natürlich auch wesentlich besser, wenn die Einrichtungen der Regierung oder Faschisten direkt angegriffen werden. In Kreuzberg gibt es aber kaum solche Einrichtungen.

Dann müßte man ja eigentlich auf die Idee kommen, seine revolutionäre Gewalt nicht in Kreuzberg auszutragen.

Die Idee gibt's ja schon lange. Aber wenn die Strategie der Polizei darauf beruht, gleich mit Härtemaßnahmen voll reinzuschlagen, wenn ein billiger kleiner Scheißladen gestürmt wird und ein paar Getränke rausgeholt werden, ist es wohl selbstverständlich, daß es dann weiter eskaliert. Da kannst du die Leute auch nicht mehr davon zurückhalten, daß sie dann voll zuschlagen.

Aber richtig gut findest du es nicht an diesem Punkt?

Nee. Ich finde es auch nicht gut, Privatwagen als Barrikaden zu benutzen. Obwohl der Senat das ja bezahlen muß... (lacht)

Wie wirst du dich verhalten, wenn Kreuzberger Anwohner beim nächten Krawall ihre Ankündigung wahrmachen und Wasser und Farbe auf euch kippen (das löst bei ihm einen Heiterkeitssturm aus) oder sich zwischen euch und die Geschäfte oder Polizisten stellen? Würdest du sie dann angreifen oder mit ihnen diskutieren?

Diskutieren würde ich mit denen nicht, weil es sich mit denen nicht mehr diskutieren läßt, weil die so festgefahren sind. Aber ich würde dann zu den Leuten sagen, daß sie aufhören sollen, gegen diese Menschen vorzugehen. Ich meine, in gewisser Weise erfüllen diese Leute dann ja eine Polizeifunktion.

Dann darf man sie doch nach deiner Logik auch angreifen.

Es geht doch auch darum, Solidarität zu schaffen, und die wird dadurch ganz gewiß eher zerstört.

Ich möchte noch einmal auf die Polizeibeamten zurückommen. Du hast am Anfang des Gesprächs gesagt, sie haben sich diesmal anders verhalten, haben nicht so draufgeschlagen. Ist es für dich ein Problem, wenn Polizeibeamte getroffen und dabei womöglich sogar lebensgefährlich verletzt werden?

Für mich sind Polizeibeamte nur Funktionserfüller...

...das sind doch auch Menschen...

...normalerweise sind es Menschen. Aber in dem Fall, wo sie die Polizeiuniform anziehen, sind es keine Menschen mehr, und dann darf man sie angreifen.

Interview: plu