REVOLUTION ALS VOLLNARKOSE

■ Das „Freie Schauspiel“ liegt im „Roten Koma“

Musik! Dutschke ist tot, aber Prinz lebt. Der verschollene Retter lebt, das Theater macht's möglich. Doch was hilft's? Was hilft es, daß die kleine Bühne mit jedem Quadratzentimeter brillant ausgenutzt und ausstaffiert ist? Daß die Kostüme den Nagel so genau auf den Kopf treffen, daß Marx, Lenin und Rosa Luxemburg als lebende Gold-Statuen jeder Schaufensterpuppe die Schamröte ins Antlitz treiben würden? Daß schließlich die HauptdarstellerInnen ihre Rollen mit solch verzweifelter Hingabe spielen, als ginge es tatsächlich um den Umsturz schlechthin, die Abschaffung des Scheins und die endlich befreiten Bedürfnisse? Was hilft das - wenn das Stück nunmal eine absurd-romantische Seifenoper ist, voller Spott auf die 68er, aber ohne Biß.

Rotes Koma (Text: Chris Kurbjuhn, Musik: Ulrich Güldner), eine vollständig hausinterne Musical-Produktion des Freien Schauspiels, ist ein Politmärchen aus tausendundeiner Nacht, eine revolutionsmüde Gutenachtgeschichte, eine Yuppie-Romanze, die wesentlich von der darin verkleisterten Love-Story zusammengehalten wird.

Dieter Prinz (Leon Brinkmann) ist auf mysteriös -unerklärliche Weise 1968 verschwunden. Er war damals notorischer Fremdwortbenutzer und leidenschaftlicher Proletariatsmissionar. Nach zwanzig Jahren erwacht er unverhofft aus einem Dornröschenschlaf, findet die Welt genauso unbrauchbar wie dazumal und wird zum angehimmelten, selbstzufriedenen Stinker. Sein überraschendes Nachleben verdankt Prinz allerdings nur einem Textbuch - und jetzt wird's kompliziert: Im „Theater 68“ inszeniert der rote Manfred Sorge (Hans-D. Heiter) zum 978. Mal die „Geschlossene Gesellschaft“ von Sartre, wovon seine Darstellerinnen die Schnauze voll haben. Da kommt ihnen das Textbuch Rotes Koma gerade recht; Hauptfigur: der wachgeküßte Apo-Opa Prinz. Regisseur Sorge ist entsetzt, Charly (Michaela Caspar), Schauspielerin im „Theater 68“ und (zu dumm!) Sorges Ehefrau, verliebt sich in den neuen Superstar. Irgendwann wird Sartre aus der Versenkung wiederbelebt, um in der Quiz-Sendung von Thomas Gottschalk zwischen dem gekränkten Berufsrevoluzzer Sorge und dem eitlen Prinz zu entscheiden, wer der wahre Revolutionär sei. Er entscheidet sich gegen seinen Liebhaber Sorge und für Prinz, und Prinz entscheidet sich für Charly - was ihn das zweite Leben kostet. Vorhang. Das war's. Alles klar?

Zu einem völlig konfusen Ritt durch die Nach-68er -Geschichte gesellt sich in der Inszenierung von Dietmar Goergen noch eine Selbstbespiegelung des Off-Theaters, die sich wie eine peinliche Entschuldigung ausmacht: Warum denn keiner bis zum Ende bleibe, da hätte doch eben jemand geklatscht, wer war denn das? „Seht, un'sre Kass‘ ist leer. Ein Superhit muß her... Spielplan Not! Täglich Brot brauchen wir so sehr!“ Das arme Theater. Statt dieses Lamentos hätten sie das ganze Programm eine halbe Stunde kürzen können dann wäre das historisch-hysterische Chaos unter sich geblieben. In aller Ruhe hätte sich der gigantische Aufstieg des Prinz vollzogen, wären die Bullen Autonome geworden, Momper ein Fundi, und hätte die Bundesbirne aus dem fernen Paraguay „diesen Staat in Ihre Hände“ gelegt. Doch statt des Stückes bleibt am Ende das Theater am Leben: Der Abschied aus der Rolle steht noch im unterhaltungstheatralischen Textbuch, nur Charly traumtänzelt ihrem scheintoten Prinz selbstvergessen hinterher.

Die Revolte ist tot. Das Theater lebt. Das Theater macht die Revolution, so einfach ist das.

Christian Vandersee

Rotes Koma noch bis zum 6. August, nur Do bis So, jeweils um 20 Uhr im „Freien Schauspiel“, Pflügerstraße 3, 1-44.