Petunien sollen auf den Acker

■ Genehmigung für den ersten gentechnischen Freilandversuch in der Bundesrepublik kommt in den nächsten Tagen / Das Bundesgesundheitsamt quälen Akzeptanzprobleme, juristische und wissenschaftliche Vorbehalte

Berlin (taz) - Die erste Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen in der Bundesrepublik wird „spätestens nächste Woche“ vom Bundesgesundheitsamt genehmigt. Wie gestern im Bundesgesundheitsamt (BGA) zuverlässig zu erfahren war, steht die offizielle Freigabe für das Experiment unmittelbar bevor. Bei dem Freilandversuch wollen Wissenschaftler des Kölner Max-Planck -Instituts für Züchtungsforschung 37.000 genmanipulierte Petunien erblühen lassen und dabei Mutationen durch „springende Gene“ untersuchen.

Schon Anfang März hatten die einschlägigen Sachverständigen der „Zentral-Kommission für die biologische Sicherheit“ (ZKBS) das Petunien-Experiment als unbedenklich abgesegnet. Seitdem warten die Pflanzenzüchter auf grünes Licht vom Bundesgesundheitsamt. Doch mit den Forschern warten auch die Kölner Bürgerinitiative „Bürger beobachten Petunien“, Grüne und kritische Gen-Ethiker auf eine Entscheidung. Kommt die Freigabe aus Berlin, wird es von seiten der Bürgerinitiative „ein bißchen Remmidemmi“ geben. Bisher warteten alle vergeblich. Das Berliner Amt hat mit dem als „historisch“ eingeschätzten Experiment erhebliche Bauchschmerzen, zumal für eine Genehmigung jegliche Rechtsgrundlage fehlt. „Das Wort Genehmigung“, so beschied am Dienstag BGA-Sprecher Henning lakonisch die taz, „möchte ich in diesem Zusammenhang gar nicht in den Mund nehmen“. Das umstrittene Gentechnik-Gesetz, das künftig Grundlage für die Freigabe von Freisetzungen sein soll, befindet sich gerade mal im Stadium eines Referenten-Entwurfs. So müssen die Petunien „freihändig“ abgesegnet werden. Wegen der fehlenden Rechtsgrundlage, so glauben juristische Experten wie der Bielefelder Rechtsprofessor Papier, könnten Gen-Tech-Gegner „sich zu Klagen ermuntert fühlen“.

Bei der Kölner Bürgerinitiative wird eine solche Klage gegenwärtig geprüft. Für Bürgerinitiativ-Sprecher Bornes steht fest, daß die Petunien nur als Lokomotive für die Gentechnik dienen und andere viel gefährlichere Freisetzungen folgen. Zugleich werde mit den Petunien aber ein laxes Genehmigungsverfahren eingeführt und festgelegt.

Die engagierte Arbeit der Kölner „Bürger beobachten Petunien“ berührt - neben den rechtlichen Problemen - den zweiten Juckpunkt des Experiments: die mangelnde Akzeptanz. BGA und Max-Planck-Forscher haben Angst, daß das Kölner Institut „zum großen Feind werden könnte“, so gestern ein Mitarbeiter im BGA. Peter Meyer, Biologe beim MPI, der das Petunien-Experiment betreut, sieht seine Pflänzchen schon in einem Atemzug mit Wackersdorf genannt. Meyer: „Es ist verdammt schwierig, unsere Argumente rüberzubringen.“

Die rechtlichen und sozial verträglichen Probleme werden jetzt auch noch von wissenschaftlichen Schwierigkeiten begleitet. Beim BGA wird nämlich angezweifelt, ob die 37.000 Petunien für das Experiment überhaupt ausreichen. Da die Mutationsrate für die beabsichtigte Veränderung der Blütenfarbe durch springende Gene nur geschätzte 1:10.000 beträgt, könnte im ungünstigsten Fall keine einzige Mutation stattfinden und der Versuch komplett in die Hose gehen mehr als nur peinlich für ein „historisches“ Experiment. Um die Mutationschancen zu erhöhen, müßten noch mehr Pflanzen auf den Acker. Das scheitert schon am Platz: mehr Beete stehen nicht zur Verfügung.

Wissenschaftlich problematisch wird der erste Freilandversuch auch durch die bisherige Verzögerung. Für ein optimales Experiment ist es jetzt, so Peter Meyer, „eigentlich schon zu spät“. Meyer hofft, daß wenigstens der Herbst lang und warm wird. Das wäre notwendig, um möglichst üppig blühende buschige Petunien zu erhalten. Je mehr Triebe und Blüten sich entwickeln, desto größer seien die Chancen für springende Gene.

Nach der Genehmigung werden nochmals sechs Wochen vergehen, bis die Pflanzen im Gewächshaus aus dem genmanipulierten Erbmaterial herangezogen sind und ausgesetzt werden können. Frühestens Ende Juni könnten sie auf den Acker. Peter Meyer: „Das wird eng.“

Eng wird es jetzt auch fürs BGA: Dort stimmen derzeit die „höchsten Gefilde des Amtes“ die letzten Details der Genehmigung ab. Dann soll die genmanipulierte heterozygote Petunia RL 01-17-3 in die Kölner Frischluft.

Manfred Kriener