Billigerer Strom für Kleinkunden?

Bundeswirtschaftsminister legt Entwurf für neue Stromtarif-Ordnung vor / Vorgänger aus der Nazizeit  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Mit einem noch internen Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums soll das aus Nazizeiten stammende System der Stromtarife reformiert werden. Das Dreißigerjahre-System reizte zum Mehrverbrauch, statt zum Energiesparen und bevorteilte die Elektrounternehmen; den Mitte April fertiggestellten Entwurf kennzeichnen neue Töne und neue Angebote. Vor allem: Der sogenannte Kleinabnehmertarif soll abgeschafft werden. Er bescherte gerade denen, die wenig verbrauchen, die vergleichsweise höchsten Strompreise. Zwar bleibt das von Ökologen heftig kritisierte „zweigeteilte“ Modell eines festen Grundbetrags und eines Preises für verbrauchte Stromeinheiten die Basis des Tarifsystems, doch sollen daneben auch andere Tarifmodelle angeboten werden können, unter denen die Kunden jährlich wählen dürfen. In der Begründung heißt es, der neue „zeitgemäße“ Tarif solle der „Energieeinsparung, der Ressourcenschonung und dem Umweltschutz“ dienen. Kritische Worte an die Stromunternehmen finden sich ebenfalls: Einzelne Kundengruppen, wie die Großindustrie, sollten „nicht zu Lasten anderer einen besonders günstigen Strompreis erhalten“.

Der Entwurf will außerdem den Stromverbrauch in den sogenannten „Schwachlastphasen“ während der Nacht begünstigen, um damit Fortsetzung auf Seite 2

die notwendige Kraftwerkskapazität zu verringern. Vorgesehen ist auch teilweise eine Koppelung des Grundpreises an den Gesamtverbrauch. Besonders hervorgehoben wird auch die Möglichkeit, einen Tarif anzubieten, bei dem ein Grundpreis entfällt und der Kunde ausschließlich nach dem Verbrauch in bestimmten Zeitzonen zahlt.

Mit der für die Kunden ungünstigen und anachronistischen Grundpreisberechnung nach der Anzahl der Zimmer soll dagegen bald Schluß sein. Das Modell stammt aus einer Zeit, als nicht die vollelektrifizierte Küche die Regel war, sondern die Glühbirne im Zimmer oft den einzigen Verbraucher darstellte.

Bei Fachleuten wird das Papier bislang vorsichtig bis distanziert aufge

nommen. Noch sei nicht abzusehen, was die Elektrokonzerne in der Praxis aus der Verordnung machten. Winfried Damm von den Grünen gesteht zwar zu, der Entwurf sei „ein Schritt in die richtige Richtung“. Doch kennzeichne ihn eine „neue Unübersichtlichkeit“, die „kein klares ökologisches Signal“ setze. Damm kritisiert das „Doppelgesicht“ des Entwurfs, der von „Kann„-Formulierungen geprägt sei. „Eine Menge Fortschritte im Detail“, gesteht auch Frithjoff Spreer, Abteilungsleiter im saarländischen Wirtschaftsministerium, dem Entwurf zu. Spreer betreut im sozialdemokratischen Saarland einen Großversuch mit einem linearen, zeitvariablen Tarif. Dabei zahlen 1.500 Haushalte keinen Grundpreis, sondern nur einen nach der Tageszeit gestaffelten Strompreis, bei dem die Lastspitzenzeiten am teuersten sind. Die vorgesehenen Tarif-Wahlmöglichkeiten ver

urteilt Spreer als „absoluten Blödsinn“. Bei einem jährlich möglichen Wechsel müßten dann nämlich die Kosten für die aufwendigen Meßgeräte auf diesen kurzen Zeitraum umgelegt werden, was den Tarif nicht konkurrenzfähig mache.

Das formulierte Umweltziel bleibe ein bloßes „Lippenbekenntnis“ in der Präambel, das für eine „umweltpolitisch denkende Landesregierung vollkommen unakzeptabel“ sei: Umweltminister Töpfer habe sich „wieder eine riesengroße Beule geholt“, urteilt Spreer. In der Tat hatte Töpfer in der Diskussion ausschließlich einen eingliedrigen, linearen Tarif gefordert. Ob der Umweltminister den Entwurf als erneute Niederlage bewertet, wollte sein Sprecher nicht verraten. Die Verordnung, die zum Januar 1991 in Kraft treten soll, sei noch in der internen Abstimmung. Im Wirtschaftsministerium aber heißt es, Töpfer habe bereits zugestimmt.