Kino: „Camille Claudel“

■ Pralinöser Schinken

Ich, Isabelle Adjani, Hauptdarstellerin des Films „Isabelle Claudjani“, ordne an: Die Kamera nur auf mich! Und zwar die ganzen drei Stunden lang. Anfangs ruhig auch einmal von oben, da soll man mich noch klein sehen, wie ich mir nachts leidenschaftlich den grünen Granit besorge für meine Skulpturen. Aber von da ab: immer Großaufnahme, klein will ich höchstens dann zu sehen sein, wenn ich im Atelier von Rodin-Depardieu, meinem egoistischen Geliebten, zwischen imposanten Marmorblöcken und Skulpturen stehe.

Ihr alle, Kameraleute, Beleuchter und Nebendarsteller wißt ja, daß ich, Isabelle Adjani, der Star in Frankreich bin, und wenn ich mich eines Künstlerinnenschicksals annehme wie dem dieser Bildhauerin Dingsda..., na...ach ja: Camille Claudel, der Schwester des berühmten Bruders Paul, Geliebte von Auguste Rodin und Lebensgefährtin von Claude Debussy, dann muß meine Attraktivität, mein atemberaubendes Können von der Leinwand nur so herunterprunken.

In den Liebesszenen natürlich Kerzenlicht, das dauernd mein Gesicht mit Licht und Schatten umspielen soll. Vor allem mein Mund, diese berühmte, sinnliche Schmoll-Oberlippe, soll sehr, sehr lang zu sehen sein, während ich sie beben lasse und meinem Geliebten wahnsinnig erotisierend in die Augen blicke. Gerard Depardieus Gesicht übrigens soll nicht gezeigt werden während der Liebesszenen, das würde von mir ablenken. Außerdem spielt er ja einen ziemlich üblen Kerl, der mir nur Kummer macht.

Dann will ich sämtliche Lebensstationen einer Frau - wie heißt sie noch gleich? - bis hin zum furienhaften Wahnsinn zeigen. Und Tränen, Tränen, die mir aus den übergroßen Augen rinnen, die Wangen hinab, am virtuos zitternden Mund vorbei. Aber die Blessuren im Gesicht, die ich von der besessenen Arbeit am Mormor habe, dürfen mich nicht entstellen! Auch meine Wahnsinns szenen nicht. Was diese Dingsbums da im letzten Jahrhundert erlitten hat, war viel zu häßlich, das interessiert ja erst, wenn ich das Ganze zum tragödienhaften Schauspielerinnen -Erlebnis mache. Darum, Ihr Kollegen - ja, auch du, Gerard Depardieu, du eitler Geck -, seid Ihr in meinem Film Kostüm-Statisten. Nur Kameraführung und Inszenierung müssen genauso delikat sein, wie ich es bin. Prachtvolle Farben, erlesenste Requisiten, vor allem aber: viel, viel Violinmusik, sehr süß, und bitte: möglichst in jeder Szene, so daß sie sich sämig auf die Ohren legt.

Wie? Ein solcher Film könne nur noch sterbenslangweilig sein? Wer sagt das? Ich produziere ihn ja schließlich mit. Ich bin die Hauptdarstellerin. Ich garantiere dafür, daß dem Publikum vor Bewunderung meiner Leistung, meines Decolletes, meiner wirren Haarpracht, meinem betörenden Mienenspiel Hören und Sehen vergeht. Von mir, Isabelle Adjani, grande Schauspielerin der grande nation, wird man weiterhin sprechen müssen - wen interessiert schon diese Camille Sowieso? Zum Schluß zeigen wir eine Fotografie von ihr, ganz groß. Da sieht man dann, wie reizlos und verhärmt sie ist, wie schön und leidenschaftlich ich dagegen bin. Sybille Simon-Zülc

Gondel, 16.15, 20 Uhr.