Träume in katastrophaler Situation

■ In den Bremer Bibliotheken wurde jede dritte Stelle gestrichen / Folge: Sechs Bibliotheken ganz, sieben teilweise geschlossen Franke: Wir sind immer noch Spitze / Leiterin hofft auf EDV und eine neue Zentralbibliothek

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, da müssen in Bremen paradiesische Zustände geherrscht haben. Wie anders ist es zu erklären, daß beispielsweise der Senator für Wissenschaft, Bildung und Kunst, Horst-Werner Franke, auch nach härtesten Einsparungsrunden in seinem Ressort jede diesbezügliche Pressemitteilung mit den Worten überschreibt: „Bremen ist im überregionalen Vergleich immer noch Spitze.“ Jüngstes Beispiel: Die Bibliotheksversorgung in der Hansestadt Bremen.

Da hatte doch der Zentralel

ternbeirat pünktlich zur Tagung der „Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung“ zum Thema „Lesen?“ einen Offenen Brief an Franke geschickt. Tenor des Schreibens: Ein Senator, der in den vergangenen Jahren durch seine restriktive Sparpolitik die Schließungen, Zusammenlegung und Reduzierung der Öffnungszeiten in mehreren Bibliotheken zu verantworten habe, solle seine Beteiligung an der Tagung ernsthaft und ehrlich in Frage stellen.

Und in der Tat: Kaum eine öffentliche Dienstleistung ist in den vergangenen Jahren so ge

schröpft worden, wie das Bibliothekswesen. Ein Drittel des gesamten Fachpersonals wurde zwischen 1981 und 1987 eingespart, insgesamt 69 Stellen. Die Folge: 6 Stadt-, Jugend- und Schulbibliotheken wurden ganz geschlossen, drei zusammengelegt und sieben in ihren Öffnungszeiten von vier auf zwei Stunden reduziert.

„Wir müssen versuchen, den verbliebenen Rest über die schwierige Zeit zu erhalten“, sagt Marta Höhl, Leiterin der Stadtbibliothek Bremen. Immerhin werden mit 2/3 des früheren Personalstandes 34 Bibliotheken weiterbetrieben. Schwierige Zeiten, vor allem auch deshalb, weil es die jeweiligen Senatoren für Bildung in den vergangenen zwei Jahrzehnten versäumt haben, das Bibliothekswesen in Bremen räumlich und technisch neu zu organisieren. So forderte bereits vor 20 Jahren der damalige Direktor der Stadtbibliothek, Werner Mevissen, den Bau einer neuen Zentralbibliothek, da das alte Gebäude am Schüsselkorb schon damals aus allen Nähten platzte. Nichts geschah. Die Folge: Die zentralen Dienste, Lektorat, Buchzugang, Buchbinderei und Verwaltung, sind auf mehrere Standorte verteilt. Die Musikbib

liothek mußte ausgegliedert werden, die Graphothek konnte gar nicht erst untergebracht werden. Für diese verschiedenen Bereiche zahlt die Stadt alleine 300.000 Mark Miete im Jahr. Fazit von Marta Höhl zur momentanen Situation: „Unsere Zentralbiblio- thek ist die schäbigste in Raumangebot und Ausstattung in der gesamten Bundesrepublik.“

Spät, sehr spät, fiel auch die Entscheidung, das gesamte Verwaltungswesen auf EDV umzustellen. Jetzt befinden sich endlich zwei Systeme im Testlauf. Wenn dann nach einem noch mehrjährigen Vorlauf das gesamte Verbuchungs- und Mahnungswesen auf Datenverarbeitung umgestellt sein wird, ergibt sich eine rechnerische Stelleneinsparung von 18,5 Stellen, Arbeitsplätze, die inzwischen längst gespart sind.

In noch weiterer Ferne scheint, trotz allgemein erklärter politischer Absicht, der Neubau einer Stadtbibliothek zu liegen. Zwar ist der national renommierte Planer von Kulturbauten, Professor Weber, mit der Erstellung eines Gutachtens zur Errichtung einer Zentralbibliothek beauftragt (die Vorlage der Expertise wird für den Frühsommer erhofft), doch mehr als Wünsche und Träume

(Höhl), wo denn ein solches Gebäude in der Innenstadt entstehen könnte, gibt es bislang nicht.

„Wir hätten Grund zum Jammern“, sagt Marta Höhl, seit 1976 Leiterin der Bibliotheken, „aber ich will das nicht tun.“ Im Gegenteil: Obwohl sie den rapiden Niedergang des Bibliothekswesens trotz ihres bisweilen heftigen Widerstands gegen den eigenen Senator nicht aufhalten konnte, ganz hat die 60jährige das Prinzip Hoffnung nicht aufgegeben. Ihr Wunsch: Bis zu ihrer Pensionierung möchte sie die neue Zentralbibliothek wachsen

sehen.

Der Senator, der den Niedergang der Bremer Bibliotheken politisch zu verantworten hat, übt sich derweil in bekannter Manier in Selbstgefälligkeit. Seine Replik auf die jüngsten Vorwürfe des Zentralelternbeirates: Die Veränderungen durch Personalabbau und Bibliotheksschließungen bedeuteten keine dramatischen Einbrüche in der Bücherversorgung. Dagegen Marta Höhl: „Wir hatten einen Superstand. Wir haben katastrophal reduziert.“

Holger Bruns-Kösters