Multikulturell ist mehr als Antipasti

■ Radikaldemokratische Impulse sind nötig, „Mut zur multikulturellen Gesellschaft“ zu entwickeln

DEBATTE

Wenn sich die Delegierten auf der Bundesversammlung der Grünen am Wochenende in Münster mit einer Resolution für „Mut zur multikulturellen Gesellschaft“ entscheiden, können hoffentlich auch diejenigen solche komplizierten Richtlinien für den Alltag mit nach Hause nehmen, die in ihrer Gegend kein multikulturelles Dezernat zur Verfügung haben, das von Amts wegen AusländerInnen unterstützt.

Die Frankfurter grün-rote Mehrheit hat sich für eine solche Behörde entschieden, und wir werden sehen, wie die EinwohnerInnen mit dem städtischen „multikulturell“ leben, wie sie es nutzen oder madig machen. Das hängt nicht nur vom Etat und den Planstellen ab, das dem ehrenamtlichen Dezernenten Daniel Cohn-Bendit und der künftigen Amtsleiterin Rosi Wolf-Almanasreh zur Verfügung stehen. Er, der Multi-Aktionist, und sie, die Gründerin von IAF (Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen), haben in den letzten 20 Jahren in Frankfurt hinreichend Erfahrungen machen können mit eindimensionalem Kulturverständnis, das ihnen Attacken, Fremdenfeindlichkeit und Hetze einbrachte. An ihnen wird es nicht liegen, wenn die ideologischen Bretter vor den Köpfen oder die Angst vor einer unkalkulierbaren Zukunft keine Vermischung zwischen den Kulturkreisen zulassen.

Wenn letzte Woche auf dem Grillplatz des Frankfurter „Monte Scherbelino“ ein Mann brennbare Flüssigkeit in das Grillfeuer türkischer und griechischer Jugendlicher kippte, um ein Feuer gegen sie zu entfachen, das einen der Jungen schwer verletzte, ist das bedrohlich, und man möchte solche Unholde dingfest machen. Der Unbekannte ist flüchtig, „sachdienliche Hinweise“ nimmt das Polizeirevier entgegen. Hinweise auf Fremdenhaß? Solche Vorkommnisse gehören zu einer Stadt, die seit Jahren gegen ihre Provinzialität baut und für das Image „Weltstadt“ unwahrscheinliche Summen investiert, um sich mit New York, London und Tokio vergleichen zu können.

Diese Widersprüche sind keine Argumente für Resignation oder das bloße Beharren auf der Warnung vor rechtsradikaler Zukunft. Im Gegenteil: Erst recht sind die radikaldemokratischen Impulse, die von der jungen Nachkriegspartei ausgehen, vonnöten, um den „Mut zur multikulturellen Gesellschaft“ überhaupt entwickeln zu können und die damit verbundenen Widersprüche, in die wir verwickelt sind, auch aushalten zu können. Ein Alleinvertretungsanspruch mit deutscher Gründlichkeit läßt sich dadurch auf diesen Begriff nicht erheben. Denn in welche Kategorie würden wir denn den Handwerksmeister stecken, der in seinem Betrieb zwei Deutsche, einen jungen und einen älteren Marokkaner, zwei Spanier und einen Italiener beschäftigt? Ist das Ausbeutung? Er sagt, er mag gerne das Vermischte im Alltagstrott, und freut sich dabei über den Generationsstreit zwischen den Marokkanern, verteidigt seine Angestellten heftig, wenn LKW-Fahrer oder Kundschaft den Ausländern im Betrieb blöd kommen. Der Mann hat einen gutgehenden Betrieb und es läge ihm fern, öffentlich für die politische Kategorie „multikulturell“ Partei zu ergreifen. Er lebt sie und hat sein Vergnügen daran.

Ein anderer Zugang zum multikulturellen Denken ist die Vermischung der Generationen, wenn jetzt das jüngste ehrenamtliche Magistratsratsmitglied, das es je in der Frankfurter Nachkriegsgeschichte gab, seinen Platz im Stadtparlament einnimmt. Grünes vermischt sich unorthodox mit den Früchten der ersten Kinderladen-Bewegung, wenn Anna Seifert, 24 Jahre, sagt: „Wer sich für mich entscheidet, entscheidet sich für Unerfahrenheit.“ Eine erfrischende Selbsteinschätzung, die sich so schnell in anderen Gremien leider nicht finden läßt.

Mit politischer Verantwortung, die aktuell notwendig geworden ist, hat die Initiative vom Büro der Bundestagsabgeordneten Erika Trenz sehr viel zu tun. Sie hat sich der besonders heiklen Mischung AusländerInnen/AussiedlerInnen angenommen und zu diesem Thema eine Anhörung durchgeführt. Das Thema „Zuhören statt spalten“ als Aufforderung ist eine Anstrengung wert, die sich auch gegen Eindimensionalität im Parteiverhalten lohnen könnte und nicht nur den Ressentiments gegen „rechte“ AussiedlerInnen gilt. So fand ein Antrag auf der Mitgliederversammlung der hessischen Grünen zwar keine Mehrheit, der u.a. den Leuten aus dem Osten per Aufklärung deutlich machen sollte, daß es sich nicht lohne, hierher zu kommen. Mindestens latent aber ist die Aversion gegen solche Volksdeutsche sicher da, die von den Segnungen der antiautoritären Studentenrevolte und der Frauenbewegung nicht berührt sind, sondern zunächst mal froh sind, hier eine „gnädige Obrigkeit“ vorgefunden zu haben. Ob wir die AussiedlerInnen z.B. von den Vorzügen einer multikulturellen und quotierten Gesellschaft überzeugen können, hängt von der politischen Praxis nach solchen Veranstaltungen wie der Bundesdelegiertenkonferenz in Münster ab.

Politische Verantwortung überzeugend übernehmen fängt schließlich nicht erst 1991 nach einer grün-roten Regierungsübernahme in Bonn an. Der Verantwortung für das weggedrängte Drittel unserer Bevölkerung entkommen wir so oder so nicht. Einfallsreichtum ist gefordert, um denjenigen staatliche Unterstützung zukommen zu lassen, denen die Stärke der Eigeninitiative genommen wurde. Es sindRahmenbedingungen, die es zu entwickeln gilt, die sich nicht mit dem Gestus der Sozialfürsorge den „kleinen Männern und Frauen auf der Straße“ zuwenden. Die Diskussion um die Forderung der Grünen nach einer Grundsicherung wird in dem Zusammenhang verstärkt geführt werden müssen.

Als positive Zeichen werte ich die Koalitionsvereinbarungen in Frankfurt, die sich vom sozialdemokratischen Reglement abwenden und statt dessen staatliche Rahmenbedingungen, so weit sie auf kommunaler Ebene realisierbar sind, für die Bevölkerung zur Verfügung stellen.

Denn wie sonst soll „multikulturell“ lesbar sein, wenn sich nicht der Separatismus zwischen Existenzkampf und Müßiggang und zwischen männlichen Privilegien und weiblichen Diskriminierungen aufmischen läßt? Auch die Aufkündigung der eingeschränkten und einseitigen Aufteilung in lineare Berufsbiographien und der Verantwortlichkeit für häusliches und familiäres Leben steht in diesem Zusammenhang an. Quotierung ohne multikulturelle Einflüsse wäre die falsche Forderung, wenn damit gemeint ist, daß ein Wechsel stattfindet im Kampf um die besten Plätze auf der Karriereleiter, aber weiter nichts passiert. Die Attraktivität der Einmischung von Frauen im politischen und öffentlichen Leben muß tiefer greifen. In diesem Sinne verstehe ich auch die Bonner Gesetzesinitiativen von Erika Trenz, Birgit Laubach und Monika Bethschneider, die den Ausländerinnen Bürgerrechte einräumen, wie sie für ein Zusammenleben notwendig sind. Das Niederlassungsrecht regelt für sie den Anspruch auf Einbürgerung und Wahlrecht, und ein weiterer Gesetzentwurf gibt ihnen Anspruch auf eigenständige Aufenthaltserlaubnis. Eine Forderung, wie sie seit Jahren von der Frauenbewegung erhoben wird.

Selbstverständlichkeiten also für ein selbstbewußtes multikulturelles Leben, das aus den AusländerInnen mehr macht als beschützenswerte Objekte unserer Vereinnahmungslust. Erst wenn „unsere“ ausländischen Freundinnen und Freunde das Völkergemisch und die Ansammlung unterschiedlichster Werte als ihren sinnvollen Beitrag erfahren, werden sie sich auch gegen grüne Weltbilder und Ideologien wehren können.

In Frankfurt zumindest war die Freude und Erleichterung der ausländischen Freundinnen über die Wahlentscheidung der Mehrheit der Bevölkerung, die sich gegen die CDU -Asylantenhetze immun zeigte, größer als die angstmachende Betroffenheit über die Stimmen für die NPD. Ein multikultureller Maßstab, mit dem wir Deutsche uns anfreunden sollten.

Gisela Wülffing