Nelkenrevolutionär Carvalho wieder frei

Nach fünfjähriger Untersuchungshaft wurde Otelo Saraiva de Carvalho aus dem Gefängnis entlassen / Der Held der Nelkenrevolution saß wegen „Gründung einer terroristischen Organisation“ in Haft / 18 Gefangene der linken Partei FUP sitzen allerdings weiter in Haft  ■  Aus Lissabon Martinus Schmidt

Die Nachricht riß die Delegierten des 6.Gewerkschaftskongresses der CGTP-Intersindical von den Sitzen. Minutenlang applaudierten sie, zusammen mit dem Ehrengast und ehemaligen Präsidenten Portugals, Costa Gomes, als sie am Mittwoch nachmittag erfuhren, daß Otelo Saraiva de Carvalho sein Gefängnis verlassen durfte. Das Oberste Gericht hatte entschieden, den Organisator des Umsturzes vom 25.April 1974 nach fünfjähriger Untersuchungshaft freizulassen - und mit ihm weitere 28 Gefangene des Falles FP-25, wie er in Portugal nur genannt wird. 18 Gefangene müssen jedoch weiter in Haft bleiben. Das Gericht begründete seinen Schritt damit, daß die Gefangenen die gesetzlich vorgeschriebene Höchstdauer der Untersuchungshaft seit langem überschritten haben.

Die Freilassung Otelos war seit dem 25.April mit jedem Tag erwartet worden. Nicht nur Hunderttausende von KundgebungsteilnehmerInnen zum Revolutionstag forderten seine Entlassung und Amnestierung, sondern auch Rechtsgelehrte, Politiker und Militärs aus der ganzen Welt. Im Parlament hatte sich ein Abgeordneter der Regierungspartei für ihn stark gemacht, indem er darauf hinwies, daß es „diese demokratische Versammlung ohne Otelo gar nicht gäbe“. Als auch Präsident Mario Soares zum 15.Jahrestag der Nelkenrevolution die Gefangenschaft Otelos bedauerte, war klar, daß es nicht mehr lange dauern konnte bis zur Freilassung. Otelo hatte am 25.April einen Hungerstreik angekündigt, falls er nicht innerhalb eines Monats freikäme. Sieben Gefangene der „Volksstreitkräfte 25.April“ (FP-25) hatten mit der Nahrungsverweigerung schon begonnen. Otelo Numo Romao Sarvaia de Carvalho ist eine der schillerndsten Figuren der jüngsten portugiesischen Geschichte. Der heute 53jährige Mann war am Ende seiner Offizierskarriere 1974 und 75 einer der mächtigsten Männer Portugals. Am 25.April befehligte und koordinierte er die militärischen Operationen, die zum Sturz des faschistischen Caetano-Regimes führten; Carvalho wurde damit zum Symbol der „Nelkenrevolution“. Am 25.April 1974 wurde er Mitglied des ersten Revolutionskabinetts und als Brigadegeneral Chef der Copcon, einer Eingreiftruppe zur Bekämpfung der Konterrevolution. Von diesem Posten mußte er am 25.November 1975 zurücktreten. Dieses Datum gilt seitdem als das Ende der Nelkenrevolution und als Beginn der parlamentarischen Normalität. Bei den ersten Präsidentenwahlen 1976 erhielt der inzwischen wieder degradierte Offizier fast 17 Prozent der Stimmen - das zweitbeste Ergebnis. Seine weiteren Versuche, politisch Einfluß zu nehmen, scheiterten an der Revolutionsmüdigkeit. Als Kandidat der „Forca de Unidade Popular“ (FUP) erzielte er bei den Präsidentschaftswahlen 1980 nur noch knapp 1,5 Prozent.

Seit dem 20.Juni saß Otelo unter der Beschuldigung in Haft, „die terroristische Organisation FP-25 gegründet, gefördert und geleitet“ zu haben. Der FP-25, dem angeblichen militärischen Arm der FUP, werden Sprengstoffanschläge und Attentate zur Last gelegt. Carvalho leugnet jede Verbindung zur FP-25 und hat gegen ein Urteil in erster Instanz 1986 Widerspruch eingelegt. Die Entscheidung des Obersten Gerichts hat in Portugal Erleichterung ausgelöst.