SCHAFSKOPFSÜLZE

■ Tom Jones in der Deutschlandhalle

„Vom Gefühlsmensch zum Digitalverschnitt - und wir dazwischen“ hat ein Jugendlicher an einen Bretterzaun am ICC gepinselt und für diesen Schmus vom beaufsichtigenden Pädagogen ganz bestimmt ein dickes Lob eingeheimst: Erst fünfzehn, und schon voll vergreist? - Klasse. Neben der Jammerei wirbt ein Plakat für „Damen-Catch: erotisch fanatisch - sensationell“, illustriert ist das von fünf Frauen in Unterwäsche, die eher an Praktiken gemahnen denn an Prügel, und die, die Prügel, sollte man den Besuchern derartiger Spektakel verabreichen.

Es ist zu warm, die Stadt platzt vor mangelhaft bekleideten, sehr geschlechtsreifen Menschen, endlich erscheint mein Begleiter, und wir reihen uns ein in den Troß, der zur Deutschlandhalle wandert. Ondulierte mittlere Damen sind es zumeist, geschnatzt und aufgepeppt mit Nahtstrumpf und Schlitzrock, Gesicht erwartungsgestrafft, das Unglück um die Mundwinkel zugetüncht, auch das Vergnügen ist keine leichte Sache, sondern will verbissen erkämpft und verteidigt sein. Zwischen den Kundinnen der Kaufhaus -Parfümerie-Abteilungen stolzieren auch diverse Männer, Strizzihaare, Stutzerschuhchen (Slippers), Sakkoärmel aufgekrempelt, Hemd offen, Goldkettchen um den solariumsverbrannten Hals; kurz vorm Eingang allerdings relativiert ein umlagerter Würstchenstand den Eindruck von Hobbyzuhälterkongreß wieder ins beruhigend Banale, die Gemeinheit in den Gesichtern verflüchtigt sich beim Biß ins schmale, fahle, blasse Riemchen mit der gelben Senfschnur drauf, und was bleibt, ist der Mensch.

Der erwirbt gesättigt ein Programmheft und ein Getränk und strebt dann brav seinem Platz zu. Die großzügige, auf Beinfreiheit bedachte Bestuhlung täuscht nicht darüber hinweg, daß die Deutschlandhalle nur spärlich gefüllt ist, der Eindruck von Vergeblichkeit und Werbeverkaufsveranstaltung will nicht weichen. Dann wird's duster, Musiker hasten auf die Bühne, Lichtfinger grabschen durch die Sitzreihen, der Chor singt Mr Jones is back, uuh uuh uuh, Mr Jones is back, das wollen wir ja wohl auch hoffen, und dann ist er da, groß, kräftig, strahle- und siegerlächelnd, ein James Bond für den Hausgebrauch, erotikumweht, exotikumwittert, alles ganz prima von der Stange. Love me tonight, brunftet der Las-Vegas-Mann auch gleich los, vor jedem Refrain schnauft er Whuu und springt in die Luft, seiner Neunundvierzigjährigkeit nicht achtend. Das Becken kreiselt und stößt ruckartig vor, die Knie knicken ein und wippen, auch der Hintern, grauhosenumstrammt, wird schwingend zum Einsatz gebracht, und wenn man B. Sichtermann hieße und für die 'Zeit‘ arbeitete, würde man von Virilität und He-man-appeal berichten.

Die Stimme von Tom Jones ist kehlig, guttural und hirschröhrend, die Damen danken es mit Blumen, Jones charmeurt, gibt Pfötchen und Küßchen, zieht die Jacke aus, knöpft das Hemd auf und läßt die Hüften rotieren. It's great to be back in Berlin, sagt er natürlich auch, dieser Satz sollte nun wirklich unter Strafe gestellt werden, genauso wie die debile Begeisterung darüber.

Von der innovativen Zusammenarbeit von Tom Jones mit Art of Noise ist nichts zu spüren am Donnerstag abend, die „Ich bin ganz der alte„-Tour wird heruntergeschrotet, bei Green green grass of home wird es schwer stimmungsvoll im Saale, der Sänger hampelt, das Publikum trampelt. Es ist Jahrmarkt, die hochdotierte Schießbudenfigur ziert sich nicht und ruckelt und zuckelt und läßt die Stimme schwellen und den Hodensack. Der alte Hammel hat viel Gebammel. Mäh mäh.

wiglaf droste