RISKANTE WIEDERAUFBEREITUNG

■ Sophisticrats im Zelt, Iron Butterfly im Quartier Latin

„Und schreib was Nettes“, empfiehlt der eindringliche Schwyzer beim Telefongespräch vorm Auftritt. Er ist Mitarbeiter der „Sophisticrats“, vier Damen und ein Herr, die sich der Sangeskunst verschrieben haben. Solchermaßen zur Positivität angestachelt, begibt sich der Rezensent zur Kreuzbergtour aufs flotte Rennrad, vorbei an bongotrommelnden, frisbeeschleudernden, jonglierenden halbnackten Freizeitkünstlern, die in der Sonne räkeln. Die haben's gut, die müssen nicht arbeiten, die können sich munter selbst verwirklichen. Und wenn sie eines Tages genug vom privaten Keulenschwingen haben, stellen sie sich auf die Bühne und machen Mätzchen vor. Und unsereins soll „was Nettes“ darüber schreiben. Wie ihr wollt.

Also die Gänge runtergeschaltet und den Berg hinaufpedalt bis in die hintere Eckes des Parks, kurz vorm Disko -Biergarten Golgatha rechts abbiegen.

Eingequetscht zwischen hohen Zäunen finden wir endlich das kleine rotblaue Zirkuszelt. Im Zwinger des BKA (Berliner Kabarett Anstalt), das als Veranstaltungsort fungiert, verbergen sich die „Sophisticrats“. Das frappierend an eine Strafanstalt mit Kulturveranstaltung erinnernde Ambiente wirkt nicht gerade einladend an einem faulen Sommerabend. Also erstmal in den Biergarten nebenan. Konzerte fangen eh niemals pünktlich an. Denkste. Wir kommen gerade noch rechtzeitig zur Pause, nachdem ein schweres Eisengitter beiseite geschoben ist, das den freien Zu- und Abgang aus der Kultur-Trutzburg nach Beginn der Vorstellung scheinbar vereiteln soll. Keine sehr umsatzfördernde Maßnahme.

Das Zelt ist nur zur Hälfte gefüllt, die Stimmung aber prima. Man erlabt sich an den Künstlern, die auch während der Pause nicht die Bühne verlassen, und sich die Zeit mit Wortspielereien totschlagen. Das Publikum lacht dazu. Irgend etwas Lustiges muß hier vor der Pause passiert sein, das wir in unserem Biergarten überhört haben. Vielleicht sollte man jemanden fragen, warum er so ausgelassen ist.

Nach der „Pause“ wird schnell kar: Hier lacht man gern, hier hat man gute Laune, die vier Sängerinnen parodieren gern gehörte Schlager. „Das nächste Stück ist meinen Exmann“ - hahaha - My Baby Don‘ Care - hohoho. Nein, wir sind nicht beim „Blauen Bock“ mit Heinz Schenk und seinen Äppelwoi-Bämbeln, und trotzdem haben wir einen vergnüglichen Abend. Der Damenchor kann noch viel mehr, jetzt geht es Frank Zappa ans Leder, gnadenlos wird er parodiert, frau springt über die Bühne, verrenkt sich die Knochen, der Baßmann liefert ein fulminantes Solo, auch darüber lacht der Zuschauer, ja, so doof muß Zappa gewesen sein.

Jetzt noch ein Joe-Jackson-Titel, der die leidige Krebsangst durch den Kakao zieht, im Original treffend, als Parodie nur noch blöd. Die „Sophisticrats“ sind gut drauf, sie können nichts, aber sie trauen sich, es zu zeigen. Sie beherrschen die Kunst, sich auf eine Bühe zu stellen und die Peinlichkeit dieses Unterfangens für den Zuschauer ins Lustige zu ziehen. Das Publikum lacht und ist froh, endlich seinesgleichen auf der Bühne zu beobachten. Dilettantismus wird zur Tugend, öffentlich exhibitioniert und verkauft als Selbstverwirklichung. Die Beschäftigung der Freizeitfanatiker. Man kann halt nicht jeden Abend Sqash spielen.

Verlassen wir also den Kulturzwinger und radeln zum Quartier Latin. Hier erwartet uns eine andere Variante aus dem Strategiekatalog zur sinnvollen Zeitvergoldung. Nostalgie lautet die Zauberformel. Wir schließen die Augen, gehen 20 Jahre zurück, bis in unsere Kindheit. Aus der Tiefe der Erinnerung hören wir Töne, sehen unseren ersten kleinen Kassettenrecorder, riechen die ersten Dopeschwaden noch einmal, und plötzlich wird uns bewußt: In a gadadavida. Wir reißen die Augen auf, und auf der Bühne stehen „Iron Butterfly“. Ist es eine Vision, ist es der Ausbruch ein Psychose oder ist es live? Langmähnige Mitdreißiger reißen die Arme hoch, spreizen die Finger zum Vau, als gelte es, das letzte Mal gegen den Vietnamkrieg zu demonstrieren.

Die Band beinhaltet zwar nur noch zwei Original -Siebenundsechziger, der Sänger ist höchstens so alt wie der Titel, das Psychedelische ist auch irgendwo auf der Strecke der Musikzeitrechnung verschütt gegangen, aber das Stück bringt es immer noch mit allem Drum und Dran (Schlagzeug-, Gitarren- und sonstige Soli) auf über 20 Minuten. In dieser Zeit läßt sich munter regredieren, jeder Psychoanalytiker hätte seine helle Freude an diesem Konzertworkshop. Die Augen leuchten, die Mami ruft, die Machos umklammern ihre Bräute, die Welt ist wieder in Ordnung (ach andy, komm in unser alter... sezza).

Die Musiker parodieren sich selbst, sie recyclen den einzigen Hit, den sie in ihrem Leben hatten. Das ist wenigstens eher komisch als tragisch mitanzusehen. Der umgekehrte Effekt zur ersten Darbietung.

Andreas Becker

Die Sophisticrats Mittwoch bis Sonntag auch in der kommenden Woche im Zelt auf dem Kreuzberg, 20 Uhr.