Frau Sahin wurde auf Trauermarsch angepöbelt

■ Etwa 1.500 Menschen nahmen gestern nachmittag am Trauermarsch für den ermordeten Türken Ufuk Sahin teil Rassisten pöbelten am Straßenrand gegen Angehörige und Kundgebungsteilnehmer / Trauerkorso am Mittag

Auch beim gestrigen Trauermarsch für den am letzten Freitag ermordeten Ufuk Sahin ertönten die Fascho-Schreie „Ausländer raus!“, wurden die Familienangehörigen Sahins mit „Dreckschweine!“ angepöbelt. Gleich zweimal mußte die Polizei gröhlende und Hetzparolen-sprühende Ausländerhasser schützen, bevor die TeilnehmerInnen der Demonstration tätig werden konnten.

Die etwa 1.500 Menschen, die vom S-Bahnhof Wittenau bis zum Fontane-Haus im Märkischen Viertel marschierten, skandierten darauf mehrere Minuten lang „Faschos raus!“. Die Familienangehörigen Sahins haben vor dem Trauermarsch mehrmals dazu aufgefordert, den „würdevollen Charakter dieses Tages“ nicht zu stören - umsonst. Die Abschlußkundgebung am Fontane-Haus zerfiel so schnell in zwei Veranstaltungen. Während Frau Sahin ihre Rede fast herausschrie, verfolgten auf der anderen Seite des Platzes einige Hundert DemonstrantInnen ein paar Glotzende, die sich dort mit ihren schwarz-rot-goldenen Hosenträgern demonstrativ und provokant postiert hatten. Auch ein Polizist konnte seinen ausgesprochenen Hang zum Deutschnationalen nicht verkneifen: Ein „Deutschland„ -Hosenträger dekorierte seine Uniform - nicht nur an Wahltagen liegt die Polizei also vollkommen im Trend.

Und auch in Freiluft-Cafes mußetuende Berliner konnten sich ihrer Volkesstimme nicht enthalten. Mehrmals beschimpften sie die an ihnen vorbeimarschierenden DemonstrantInnen. Die Reden von Horst Jeckel, DGB, dem Reinickendorfer Bezirksbürgermeister Dzembriczky und einem Vertreter des Antifa-Bündnisses Reinickendorf gingen so in der aufgebrachten Stimmung fast ganz unter. Vorher marschierten in seltener Eintracht Kreuzberger Autonome, Frohnauer Oberschüler und Beamte hinter einem schwarz-roten Transparent mit der Aufschrift „Wut und Trauer - gemeinsam gegen Rassismus“ her. Viele TeilnehmerInnen hatten sich ein Foto von Ufuk Sahin ans Hemd geheftet. Andere Transparente forderten: „Wir wollen gemeinsam in Frieden leben!“ Die Veranstalter forderten den Senat zu „sofortigen Maßnahmen“ gegen den Ausländerhaß auf. Frau Sahin wollten den Trauerzug allerdings nicht zu einer politischen Propagandaveranstaltung degradieren lassen. Sie bat, auf Parolen und Forderungen im weiteren Verlauf der Kundgebung zu verzichten. Als nach einer Stunde nach Kundgebungsende immer noch kleine Grüppchen vor dem Fontane-Haus standen und diskutierten, leuchtete in grellem Rot von einer benachbarten Wand: „Nazis vertreiben - Ausländer bleiben!“

Mit einem Autokorso von 39 Wagen haben Angehörige, Freunde und Bekannte bereits Freitag mittags dem von einem Deutschen erstochenen Türken Ufuk Sahin das letzte Geleit gegeben: Mit an die Antennen gebundenem schwarzem Trauerflor fuhren die Autos vom türkischen Friedhof Tempelhof über den Kurfürsten Damm zum Flughafen Tegel. Die SPD und die AL sowie weitere Organisationen haben alle BerlinerInnen aufgerufen, an der Demonstration gegen die Ermordung Sahins am Samstag teilzunehmen. An dem Protestzug wird auch der Regierende Bürgermeister Momper teilnehmen. Es sei festzustellen, daß in letzter Zeit offene rassistische Äußerungen bis hin zu Gewaltanwendungen gegenüber Ausländern zunehmen, die Hemmschwelle vor solchen Taten niedriger geworden sei, heißt es in einer SPD-Mitteilung.

Thomas Langhoff/dpa/ap