: Ein feministischer Süd-Nord-Transfer
Erstmals organisierten Frauen aus einem Entwicklungsland einen kritischen Kongreß zur Fortpflanzungsmedizin und Verhütungsmethoden, Gentechnik und Bevölkerungspolitik / Feministinnen, vor allem aus den asiatischen Ländern trafen sich in Bangladesch ■ Von Paula Bradish
Der Taxifahrer in Dhaka befördert sicher selten Frauen aus dem Westen. Bangladesch ist kein Touristenland. Als seine skeptische Frage, „Are you a tourist?“, verneint wird wird, gibt es für ihn nur eine Alternative: „Then you're a faminist?“ Den noch ungewohnten Begriff hatte er mitsamt Schreibfehler aus der Tagespresse übernommen. Sie berichtete ausführlich über einen Kongreß von 150 Feministinnen aus 34 Ländern Ende März in Bangladesch. Die Konferenz mit dem Titel Gen- und Fortpflanzungstechnologien und Frauengesundheit hatten FINRRAGE, das Internationale Feministische Netzwerk gegen Gen- und Fortpflanzungstechniken und UBINIG, eine bangladeschische Forschungsgruppe für alternative Entwicklungspolitik organisiert. Die Konferenz war in mehrfacher Hinsicht ein gewagtes Unternehmen. Ursprünglich für 1987 geplant, mußte der Termin erst wegen der schwierigen politischen Situation in Bangladesch, dann wegen der verheerenden Überflutungen im gesamten Land verschoben werden, die Finanzierung stand erst in letzter Minute fest. Doch trotz dieser Schwierigkeiten war es für Farida Akhter, Mitbegründerin von UBINIG, wichtig, eine solche Konferenz in einem Entwicklungsland durchzuführen. Denn wenn Frauen aus diesen Ländern in der westlichen Welt von ihrer Situation berichten, geht die Intensität ihrer Erfahrungen verloren. Die Themen, der Ton und die Tendenz solcher Diskussionen drehen sich meistens um die Realitäten der Industrieländer. Die Konferenz in Bangladesch sollte der bewußte Versuch sein, eine Brücke zu schlagen. Für die einen Freiheit,
für die anderen Zwang
Rein zahlenmäßig dominierten diesmal die über 100 asiatischen und afrikanischen Frauen gegenüber den westlichen Frauen (40 aus Nordamerika, Europa und Australien). Doch damit alleine gelang es noch nicht, die erhoffte Brücke zwischen den sehr unterschiedlichen Lebenssituationen, Problemen und Arbeitsschwerpunkten der Teilnehmerinnen zu schlagen. Erste Versuche, Zusammenhänge herauszuarbeiten, unternahmen Maria Mies und Farida Akhter im Eröffnungsplenum. Maria Mies fragte: „Was vereint und was trennt Frauen des Südens und des Nordens im Bereich der Fortpflanzungstechnologien?“ und kritisierte das Konzept westlicher Feministinnen von der Kontrolle des eigenen Körpers. Die Frauen des Nordens haben vielleicht noch die Illusion, daß Fortpflanzungstechnologien, sowohl anti- wie auch pronatalistische, ihre individuelle Freiheit und Wahlmöglichkeiten vergrößern könnten. Aber diese individuelle Wahl und Freiheit fehlt völlig in den meisten Bevölkerungskontrollprogrammen des Südens. „Was für eine Gruppe von Frauen wie Freiheit aussehen mag, erscheint den anderen Frauen als Zwang.“
Auch Farida Akhter kritisierte den Kampf um „reproduktive Rechte“ oder „reproduktive Selbstbestimmung“ (reproductive rights) als Wegbereiter für die Akzeptanz von immer mehr Verhütungs- und Fortpflanzungstechnologien als „individuelle Lösungen“. Statt dessen sollten Frauen gemeinsam ein „neues soziales Verhalten zur Reproduktion“ entwickeln.
Die Diskussion in den Arbeitsgruppen und Plena waren allerdings keineswegs eine geradlinige Fortführung der so abgesteckten Grundsatzfragen. Mit der Fülle der Erfahrungsberichte, Daten und Informationen über Techniken und ihre Auswirkungen, über politische Auseinandersetzungen und Aktivitäten, wurde zunächst mehr das Unterschiedliche und Trennende sichtbar.
Wie Frauen aufgerieben und benutzt werden im bevölkerungspolitischen Spiel von Kirche, Forschung und Industrie, nationalen Regierungen und internationalen Organisationen verdeutlichen zum Beispiel Vertreterinnen der philippinischen Frauendachorganisation „Gabriela“. Die mächtige katholische Kirche benutzt hier nicht nur die üblichen moralischen Argumente, um jegliche Anwendung von Verhütungsmitteln zu verurteilen, sondern beklagt auch die „ausländische Einmischung“. Doch angesichts der massiven Drohungen der Weltbank und der US-Regierung, ihre Kredite und Unterstützung zurückzuziehen, hat die Aquino-Regierung eine Neuauflage der Bevölkerungsprogramme der Marcos-Ära verabschiedet. Als Trostpflaster für die Katholiken bleibt die Abtreibung verboten, berichtete Sylvia Estrada-Claudio. So kämpfen Frauen auf den Philippinen (wie auch in vielen Ländern Lateinamerikas) gleichzeitig gegen eine lebensschützerische Kirche, eine anti-natalistische ausländische „Entwicklungshilfe“ - und meist auch gegen die Ignoranz oder Brutalität der eigenen Männer, die die sexuelle Verfügbarkeit von Frauen (ohne für sie störende Verhütungsmittel) und die Produktion von Söhnen für ihr Recht halten. Bevölkerungspolitik: von Freiwilligkeit keine Rede mehr
„Bevölkerungsprobleme“ sind in Realität Symptome der Ungleichgewichte im Entwicklungsprozeß, die ihrerseits Konsequenzen aus internationalen Wirtschaftssystemen darstellen“. Diese von der indischen Demographieprofessorin und Feministin Malini Karkal zitierte Feststellung wurde schon 1974 in Dokumenten der ersten Weltbevölkerungskonferenz in Bukarest formuliert. Zehn Jahre später stellte man sogar im offiziellen Statement der US -Regierung zur Nachfolgekonferenz in Mexiko das Scheitern dieser Programme der sechziger und siebziger Jahre fest, die Armut (und die „gelb-schwarze Gefahr“) zu beseitigen.
Dennoch werden Antifertilitätsprogramme in der Dritten Welt heute massiver denn je betrieben, allerdings zunehmend mit der Tendenz, die letzten Anstandsreste von „Freiwilligkeit“ fallenzulassen. Wo Zwangsmaßnahmen wie in China nicht möglich sind, sollen nun neuere Mittel mit Langzeitwirkung die Kontrolle lückenloser machen. Frauen aus Sambia, Brasilien, Bangladesch und Indien berichteten von Versuchen mit Dreimonatsspritzen wie Depo-Provera und Net-En, mit Implantanten wie Norplant und von der Erprobung (gentechnisch herstellbarer) Antischwangerschaftsimpfstoffe, die von den „Benutzerinnen“ weder vergessen noch bewußt abgesetzt, entfernt oder wirkungslos gemacht werden können. Außer einer Vielzahl von „Nebenwirkungen“ wie Dauerbluten, Übelkeit, Sehstörungen usw. verursachen diese Mittel eine Unfruchtbarkeit, die weit über die Anwendungszeit hinausgeht und unter Umständen endgültig sein kann. Trotzdem werden sie, so in Sambia und in anderen afrikanischen Ländern und bei den Ureinwohnerinnen Australiens, auch schon 14jährigen Mädchen verabreicht.
War die männliche Sterilisation früher ein Hauptbestandteil der indischen Familienplanungsprogramme, sind heute fast nur noch Frauen deren Zielscheibe („target“, wie es heißt). Als Planziel tritt anstelle einer niedrigeren Geburtenrate nun eine „Nettoproduktionsrate“ von eins; das heißt jede Mutter soll künftig nur durch maximal eine Tochter „ersetzt“ werden. „Damit fördert und legitimiert die indische Regierung faktisch die zunehmende Vernichtung von weiblichen Föten und Kindern“, kritisiert Malina Karkal diese gegen Frauen gerichtete Politik ihrer Regierung. Doch diese Zielvorgabe, wie auch die Techniken und die Finanzierung, kommen nach wie vor größtenteils von westlichen Organisationen wie Population Council, US-AID und International Planned Parenthood. Technologietransfer
Während der Export von gesundheitsgefährdenden Verhütungsprodukten der Reproduktionsforschung und -industrie von Nord nach Süd weitergeht, hat die nächste Stufe des Technologietransfers in Sachen Bevölkerungspolitik schon längst begonnen. Kliniken für In-vitro-Befruchtung und andere neue Methoden werden nun auch in Hongkong, Malaysia, Singapur und auf den Philippinen eingerichtet. Indien hält an der Eigenständigkeit fest und ist stolz auf die eigene IVB-Expertin, Frau Dr. Hinduja. In Singapur hat man dagegen australische Fachmänner eingeladen, eine Filiale im Fruchtbarkeitsgeschäft aufzubauen.
Einig waren sich die Teilnehmerinnen, daß den Beteuerungen, all diese bevölkerungspolitischen „Erfindungen“ dienten dem Interesse von Frauen, keinen Glauben zu schenken sei. Doch die unbestrittene Tatsache, daß diese Techniken an zum Teil tatsächliche, zum Teil vermeintliche oder erzeugte Bedürfnisse von Frauen anknüpfen, war, als es um Prioritäten und Strategien des Widerstands ging, Anlaß für Kontroversen. Beeindruckend sind die Aktionen (und Erfolge) der indischen Frauen gegen vorgeburtliche Geschlechtstests und Abtreibungen von weiblichen Föten. Sie arbeiten mit Straßentheater, Videos und Mädchendemos. Aber zur Auslese und Ausmerzung von Behinderten trauen sie sich nicht, öffentliche Position zu beziehen: „Es ist schwierig genug in Indien gegen die Geschlechtstests zu kämpfen, aber wenn wir von Anfang an uns auch gegen die Abtreibung von genetisch geschädigten Föten ausgesprochen hätten, hätten wir vielleicht gar keine Unterstützung.“ Das Argument, es sei kein Unterschied, ob man Weiblichkeit oder Behinderungen als minderwertig und unerwünscht abstempelt, sowie Berichte von den deutschen und japanischen Frauen (siehe Interview) lösten Nachdenklichkeit und auch Änderungen in der Sichtweise aus.
„Wie schaffen wir es, angesichts immer neuer Angriffe auf unser Leben durch neue Technologien, nicht nur kurzfristige Abwehr- und Überlebensstrategien zu entwickeln?“, fragte Nelia Sanchez von „Gabriela“. Sie begann damit, eine Diskussion über feministische Alternativen im Umgang mit Natur und zwar nicht nur der eigenen. Und so bezog sie sich nicht nur auf die Bedrohung, die neue und alte Formen des Eingreifens in die Fortpflanzung für Frauen darstellten, sondern ebenso auf die gentechnische Zurichtung von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen. Die indische Ökofeministin Vandana Shiva und ihre Schwester, die Ärztin Mira Shiva, berichteten von der neuen Saatgutpolitik ihrer Regierung, die Tür und Tor öffnet für gentechnisches Saatgut der Multis und für eine neue Grüne Revolution, mit noch verheerenderen ökonomischen, ökologischen und sozialen Konsequenzen als die erste. Geöffnet hat sich Indien auch für künftige Versuche mit neuen, auch gentechnischen Impfstoffen aus den USA an der indischen Bevölkerung. Aktionen zum Welternährungstag
Für viele Teilnehmerinnen aus Asien und Afrika war die Gentechnik in Landwirtschaft und Medizin noch Neuland. Daß auch in ihren Ländern, etwa in Bangladesch, Indonesien oder den Philippinen, mit Hilfe westlicher Ländern gentechnisch geforscht wird, erfuhren viele zum ersten Mal. Nach ihrer Einschätzung würden aber Frauen, die weltweit für ein Großteil der Nahrungsmittelproduktion verantwortlich sind, die lebensbedrohlichen Folgen gerade in diesem Bereich sehr schnell begreifen. „Da ist das Anknüpfen an Lebenserfahrungen und Widerstandsformen von Frauen in der Dritten Welt unter Umständen naheliegender als bei der Reproduktionsmedizin“, stellt Mira Shiva fest. Deshalb beschlossen die Konferenzteilnehmerinnen, daß FINRRAGE zum Welternährungstag am 16. Oktober 1989 einen internationalen Aktionstag zur Gentechnik in der Landwirtschaft durchführen wird. Begonnen werden soll auch eine Kampagne gegen Langzeit -Hormonpräparate und Antischwangerschaftsimpfstoffe, sowie Vorbereitungen für ein Tribunal zu kriminellen medizinischen Praktiken und Experimenten an Frauen, nach dem Vorbild des Tribunals zu Gewalt gegen Frauen.
Einstimmig verabschiedet wurde auch eine gemeinsame Erklärung, nach nächtelanger Diskussion in wechselnden Gruppen und Plena. Eine FINRRAGE-Frau ist auch entschlossen, das „Wunder“ einer Konferenz mit „150 verrückten Feministinnen“, wie sie sagt, unter den erschwerten Bedingungen eines Dritte-Welt-Landes wieder zu wagen. Die nächste FINRRAGE-Konferenz organisiert Ana Gomes Dos Reis 1991, gleich nach dem Karneval, in Brasilien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen