„Möge die Hand verdorren,...

...die sich erhebt wider den Knopf zum Abschalten des Geräts.“ So steht es auf dem Mahnmal des Unbekannten Fernsehzuschauers geschrieben. Und Woche für Woche wallfahren Programmdirektoren ohne Zahl hinauf zu jenem Hügel, um andächtig in die Knie zu gehen. Und siehe: Sie werden einer Euro-Vision teilhaftig, die da sagt: „Geht hin und mehret euch, auf daß es dereinst ein Menschengeschlecht gebe, das nicht mehr nur hirn-, sondern auch handlos sei, denn dies soll das Menetekel sein: Im Land, wo es aus allen Kabeln fließt, wird der Knopf sein Recht verloren haben. Halthalt, so weit sind wir noch nicht. Noch leben wir im Land des Zapping, können im Handumdrehen aus-, ab- oder umschalten, wie's uns beliebt, trinken das Bier aus einem Henkelglas, schaufeln das Schweinerne mit Forke in uns hinein, glotzen uns planvoll und bewußt die Sendungen an, die wir per Hand rot angestrichen haben. Was? Etwa nichts angestrichen? Dann wird das aber sofort gemacht! In Ruhe einen Stift herbeiholen, wir machen inzwischen ein bißchen Musik. SAMSTAG

Eigentlich sollte man annehmen, daß beim angeblich bundesweiten Sonnenschein sich kaum jemand schon tagsüber Fernsehbilder hinter die Bindehaut kippen will, aber ich tu jetzt einfach mal so: im ZDF gibt es ab 13 Uhr Tennis, dazu kein weiteres Wort. Die ARD zeigt um 15.45 in deutscher Erstaufführung einen amerikanischen Spielfilm von 1947: Merton of the Movies, der auf deutsch natürlich nicht anders heißen kann als Hoppla, hier kommt Merton!, was faustschlagartig eine Komödie suggerieren soll: Red Skelton als Platzanweiser, der per Fernkurs Schauspieler werden will. Am Abend muß man in der ARD um 20.15 Uhr zum endgültig letzten Mal Mike Krüger mit seinem Hamster ertragen, aber was sich die ARD auch immer auf diesem Sendeplatz hätte einfallen lassen können - heute hat gegen das ZDF, das um 20.15 Uhr Vom Winde verweht zum wiederholten Male zeigt, nichts eine Chance, bei mir jedenfalls. Und auf das obligatorische Naserümpfen darüber, daß ein solcher Film niemals ins Fernsehen gehört, verzichte ich, lege das Sofa mit Zellstoff aus und leide, leide, leide zum x-ten Mal. Wer einen Video-Recorder - oder ein saumagenartiges Bilderaufnahmevermögen - hat, braucht auf andere Filme nicht zu verzichten. Zum Beispiel in N 3 um 21. 15: Ein Jahr der ruhenden Sonne von Krzysztof Zanussi, die unglückliche Liebesgeschichte einer polnischen Malerin mit einem US -Soldaten in Polen 1946. Und in der ARD gibt es um 23.45 Uhr den Carol-Reed-Film Ausgestoßen mit James Mason als irischem Untergrundkämpfer, der nach einem Geldraub und Kassierermord flüchtend durch eine nächtliche Stadt irrt und „wie ein Magnet andere Randgestalten der Gesellschaft anzieht“, wie der Pressetext erzählt. 3sat zeigt um 20.30 die Komödie Der Himbeerpflücker aus den 60er Jahren, mit Helmut Qualtinger und Kurt Sowinetz. Über den Inhalt war nichts weiter zu erfahren, aber genügt es nicht, Helmut Qualtinger zu sehen? SONNTAG

Wie jeden Sonntag-Vorabend die quälende Entscheidung: Soll man jetzt Lindenstraße oder Mona Lisa gucken? Könnte man nicht Maria von Welser mit einer Damen-Beratungsstelle in Else Panowaks Frisiersalon einquartieren? Egal - der Abend kommt bestimmt, und mit ihm Vom Winde verweht, Teil zwei, im ZDF, 20.15 Uhr. Vorher allerdings, um 19.30 Uhr, wirft die ZDF-Sendereihe Querschnitte die bange Frage auf, ob Sexualität am Ende eine Krankheit sei. Gleich danach allerdings, um 20.15 Uhr, greift die ARD wieder voll in die Tasten der märchenhaften Sexualität mit dem amerikanischen Spielfilm Splash. Eine „moderne Version der kleinen Meerjungfrau“ soll das sein, jedoch mit Happy-End. Vor allem aber in einer happy world, denn die kleine und - huhu splitternackte Seejungfrau schwimmt im saubersten, blauesten aller Ozeane.

N 3 zeigt um 22.45 Uhr in seiner Truffaut-Reihe den Film Geraubte Küsse, während zeitgleich in der ARD das hochkulturelle Schnarchen anhebt: Erinnern und Mitteilen war das Anliegen der Jahrestagung des PEN, und wo deutsche Männer (manchmal ja sogar Frauen) im Namen der Literatur versammelt sind, ist meist mahnendes Schwadronieren zu erwarten, dem sich das Fernsehen immer mutig stellt. - So kann man also per Fernsehen auch dieses Wochenende um die Ecke bringen. Und wo man fernsieht, da laß dich ruhig nieder. Nur ziemlich blöde Menschen singen dauernd Lieder.

Sybille Simon-Zülch