„Pulpulpulpulpulpulpul“

■ Krabbenpulmeisterschaften auf dem Bremer Kajenmarkt

Wie Fischfachhändler den Fisch fördern / „Pulen kann jede“ / „Oijoijoijoijoi“

Es hat noch nicht angefangen, aber dem Mann am Mikrofon gehen bereits die Sprüche aus. Möglicherweise eine Wirkung des hochprozentigen „Küstennebel“.

„Jetzt nicht mehr in der Nase pulen“, fällt ihm endlich ein. Die Sonne lacht. Wir befinden uns am Granatstand auf dem Bremer Kajenmarkt. In wenigen Minuten werden hier die Vorrundenkämpfe zur Bremer Krabbenpulmeisterschaft beginnen. Die Stimmung an den vier Pultischen ist noch entspannt. Unter einem Sonnensegel sitzen ungefähr 20 Übungspuler mit Kochmützen aus starkem Filterpapier und durchsichtigen Ganzkörperschürzen. Das Publikum ist an diesem frühen Samstagmorgen noch spärlich, die Marktschreier könnten sich ihre Schreikraft für den Mittag aufsparen.

Eine Gruppe Alkis richtet sich an der Kajenmauer hinter dem Wettkampfplatz ein, während große Krabbensäcke auf die Tische geleert werden. Herr Koch-Bodes, Bremer Fischfachhändler, Organisator, Ideenmitinhaber und der Mann am Mikrofon, bäumt sich auf zum Countdown. „5-4-3-2-1! Puuulen lous!“ 40 Hände greifen nach Krabben und Meisterschaft. Die meisten sind geübte Puler und kennen sich und die Krabbe gut. Die Krabbe heißt auch Nordseekrabbe, Granat oder Garnele und ist ein bis zu 7 cm langes Tier, das gut zu Toast, Schwarzbrot und verschiedenen Eierarten paßt und, wie die Puler versichern, schnell sättigt.

Frau de Vries konzentriert sich wie auf eine Arbeit. Zum Beweis, daß es blind geht, schaut sie zur Seite in die Ferne und pult mühelos weiter: „Sie müssen den Schwanz anfassen, (wieherndes Gelächter beider Geschlechter) und gleichzeitig das ganze Tier herausziehen. Es darf nicht durchdrehen.“ In Burhafe müssen lauter Meisterinnen sitzen. Dort ist Krabbenpulen Heimarbeit; 120 Pfund jeden Tag, erzählt Frau de Vries, während sie Schwänze anfaßt, zusammendrückt und gleichzeitig herauszieht. Der Mikromann feuert jetzt

statt der Puler eine kleine Publikumstraube an. Bremische Zuschauer sind schwierig zu begeistern. „Pulpulpulpulpulpulpul“ macht er vor. „Pulpulpul“, sagt tapfer eine alte Dame aus dem Schwäbischen. Der Fischfachhändler gewinnt Graffiti-Format:„Lieber ein Granati werden als ein Alki bleiben!“ Alle Sprüche sind wieder da. Andere Fischfachhändler beobachten am Rande, wie sehr eine Idee in die Tat umgesetzt werden kann. Es sind zumeist Bremer Fischfachhändler, die sich in einem Fischförderkreis zu sammengeschlossen haben, um als Hechte im Werbeteich schlagkräftiger zu sein. Zusammen mit der Gaststätte Friesenhof und der Fischereigenossenschaft Fedderwarden die die Krabben stiftet - hat man vor ca. 8 Jahren die Pulmeisterschaften erfunden. Kein Schlag in's Wasser, wird versichert. Jetzt im Mai ist der Granat allerdings noch knapp und klein. Sein Hauptvorkommen liegt in der Zeit zwischen September und November.

Die 20 Minuten Pulzeit sind um, die Töpfchen mit den entpellten Krabben werden gewogen. Frau Hillbrecht, Hausfrau, hat mit 225 g gewonnen. Pulen ist ihr Hobby. Als Preise winken eine

Flasche Rose und Kohl-und Pinkel zur See. Im Sommer wartet die Deutsche Meisterschaft auf Frau Hillbrecht. „Dabeisein ist alles“, sagt Herr Burau von der

Post enttäuscht. Unregelmäßig gibt es auch Weltmeisterschaften. Den massenhaft übriggebliebenen Granat dürfen die Puler mit nach Hause nehmen.

Die Gruppe Los Latinos beginnt im Schlußapplaus der gewachsenen Menge mit „La Bamba“. Zwei Frauen in Schößchenkostüm und Jeansensemble vergessen sich und tanzen wie Tempeltänzerinnen. Dahinter die Alkis auf der Kajenmauer johlen und wollen keine Granatis werden. Einer von ihnen sammelt die leeren Bierdosen: „Es gibt zuviel Müll auf der Welt“. Dann setzt er sich zum Plattdütschübersetzer und den zwei Herren mit den 6 daumengroßen, blütenübersäten Kakteen („Sechs Mark! Einmal im Monat gießen“) auf die Bank. Er ist Maler-Lackierer-Gerüstbauer-Legionär-Sozi-Empfänger und heißt Claus-Peter, Paul auch noch, Gott weiß, was sich seine Mutter dabei gedacht hat. Eine winzige alte Frau in Streifenhose und Blümchenbluse kommt vorbei, augenscheinlich verwirrt. Claus-Peter hat sich alle unsere Namen gemerkt, springt auf und wirbelt das Frauchen um die Pulbänke. Die Tempeltänzerinnen sind neidisch. Es gibt kein falsches Abenteuer im richtigen Leben. Claudia Kohlhas