Die Geschiebelage der Nation

■ „Wohin mit dem Deutschen Historischen Museum?“ fragte die Perspektive Berlin e.V. gestern bei einer öffentlichen Anhörung

Sen. Nagelschau mast go on - auch bei der „öffentlichen Anhörung“ der Perspektive Berlin e.V. gestern morgen im Konzertsaal der HdK ging's wie schon seit Tagen wieder um die „tektonische Geschiebelage“ (Stölzl) in Sachen Deutsches Historisches Museum. Geladen hatte der SPD-Wahlhelfer-Club um die Podiumsdiskussionsleiterin Lea Rosh und ihren Gatten Jakob Schulze-Rohr, der diesmal als Architekt und damit gleichzeitig Sachverständiger auftrat, die kulturpolitische Sprecherin der AL, Sabine Weißler, Bausenator Wolfgang Nagel (SPD), dessen Parteifreundin, die Kultursenatorin Anke Martiny, den kulturpolitischen Sprecher der CDU, Uwe Lehmann -Brauns, sowie Christoph Stölzl, Direktor des Deutschen Historischen Museums, zwecks Anhörung. Die Fragen stellten neben der Familie Schulze-Rohr die sogenannten Sachverständigen, namentlich Karl Schwarz (Präsidialamt der TU), Helmut Geisert (Kurator für Architektur der Berlinischen Galerie), Eckhardt Gillen (Kunsthistoriker, Museumspädagogischer Dienst) sowie die zahlreichen mündigen Bürger im Parkett - obwohl Christoph Stölzl vor einer plebiszitären Kulturpolitik schärftstens warnte: „Da würde alles ins Wackeln geraten.“

An neuen Argumenten hat die Veranstaltung wenig gebracht; was allerdings deutlicher als selten zuvor zutage trat, waren die Widersprüche in den einzelnen Positionen selbst und die Beweggründe deren Vertreter. So ist sich etwa Wolfgang Nagel mit Christoph Stölzl einig, daß das DHM in Berlin und nirgendwo sonst gebaut werden müsse, weil von hier der Holocaust ausgegangen ist. Nagel wiederholte noch einmal, daß das DHM auf jeden Fall kommen werde: „Unser Signal an Bonn ist: 'Berlin sagt ja zum Museum'“. Tatsächlich sieht etwa der CDUler Lehmann-Brauns keinen entscheidenden qualitativen Unterschied zwischen den Standorten Spreebogen und Potsdamer Platz und moniert daran nur die Zeitverzögerung. Nicht so wiederum Nagel. Er erkennt auch in der Frage nach der Architektur und dem Standort eine Frage nach der Konzeption, die er - ähnlich wie seine Genossin Martiny - eigentlich gar nicht mehr stellen dürfte, weil da die Bundespartei vor ist. Martiny, die das Museum nach wie vor für überflüssig hält, erklärte: „Die SPD hat sich verständigt, für das Museum zu sein. Ich habe an der Konzeption nichts zu kritisieren.“ Andererseits, zwei Minuten später: „Ich persönlich kann mir Geschichte museal vorgeführt nur sehr schlecht vorstellen.“ Und wieder eine Minute später bügelte sie schnell ihr eigenes dezentrales Kulturkonzept zugunsten der klassischen Hierarchie ab: die Heimatmuseen z.B. bildeten sozusagen das Unterfutter für das große DHM.

Warum die Parteidisziplin in der SPD es offenbar noch nicht einmal zuläßt, über das DHM offen zu diskutieren, ließ schließlich wieder Nagel erahnen. Dieser bedauerte es ausdrücklich, für das Gebiet der Stadtplanung nicht zuständig zu sein. Schon deshalb, weil „die rot-grüne Herausforderung für die ganze BRD“ beispielhaft „mehr als Verkehrberuhigungen“ zustande bringen müsse und „nicht nur kommunalpolitische Aufgaben wahrnehmen“ dürfe. Denn dieser Senat sei schließlich nicht irgendeine Provinzregierung. Eine Entscheidung über das DHM müsse deshalb noch in dieser Legislaturperiode getroffen werden. Hier sprach ein wahrer Staatsmann und Machtpolitiker mit Sinn für's Höhere.

Was den neuen Standort betrifft, so favorisiert Nagel diesen bekanntlich gegenüber der „Randlage“ am Spreebogen, weil so Geschichte wieder in die Stadt hineingetragen werden könne. Doch auf den Vorhalt von Jakob Schulze-Rohr und anderen Mitgliedern und Sympathisanten der Perspektive Berlin, auch am Potsdamer Platz fehle es schließlich an urbaner Infrastruktur und der damit verbundenen Laufkundschaft, weshalb man doch auch über eine museale Bebauung etwa des Wielandstraßen-Parkplatzes in Charlottenburg nachdenken sollte, entgegnete Nagel: „Die Leute pilgern auch zu Museen in einer nicht so guten Lage.“ Hier war er sich wiederum einig mit Stölzl: „Museen leben nicht vom Kiez-Umfeld, sondern von Wallfahrern. Nach Berlin kommt man nicht als Zufallspassant.“

Stölzl, keine Frage, besteht natürlich auf dem ursprünglichen Standort. Gerade auch im Zusammenhang mit der Diskussion um die multikulturelle Gesellschaft begrüße er den Platz neben der Kongreßhalle, etwa, wo jetzt das „Haus der Kulturen der Welt“ beherbergt ist und der „Dialog mit der dritten Welt stattfindet“. Ansonsten hält es Stölzl ja eher mit den Europäern nach dem selbstgesetzten Motto „Uns ist nicht bang, denn wir sind eingehakt mit den anderen“. Jede Unterstellung, das DHM strebe nach deutscher Größe, würde er selbstverständlich ablehnen. Dennoch nehme die „große europäische Antwort“ auf die „Frage der Deutschen nach sich selbst“ mit einer „Architektur der Befreiung von der kleindeutschen Geschichte“ die eventuell auch wiedervereinigte Zukunft vorweg. Für eine solche große Aufgabe könne es übrigens gar keinen Platz geben, der prominent genug sei, erklärte er gerade den Wiedervereinigungsstrategen aus dem Umfeld der Perspektive Berlin, die den Platz für die Zukunft offen halten wollen.

Unterfüttert hatte Stölzl mit diesem Statement aber auch die Thesen von Sabine Weißler. Diese hatte zwei Faktoren benannt, die in der Diskussion zu unterscheiden seien: zum einen die notwendige Suche nach einer neuen Form der Geschichtsaufbereitung, wie sie etwa in der Berlin -Ausstellung schon angeklungen sei und in Hassemers Vorschlag für ein Forum für Geschichte und Gegenwart vielleicht möglich gewesen wäre; zum andern der etwa bei Stölzl ja tatsächlich nur allzu deutliche Wunsch nach staatlicher Repräsentation, der im Konzept des DHM zum Vorschein komme. Weißler betonte überdies noch einmal, die AL setze sich nachdrücklich für die Entwicklung der Berliner Museenlandschaft ein und warf dem DHM völlige Konzeptionslosigkeit vor, „denn Museumsarbeit ist Arbeit am Objekt“ und das DHM hätte keine Objekte. Gleichzeitig vermißte sie jedes Argument sowohl für das Museum, als auch für den Standort Spreebogen und den Entwurf von Rossi. Gegenspieler Stölzl wiederum sieht das genau umgekehrt und findet kein einziges Argument dagegen.

Womit Stölzl allerdings wieder recht hat, ist sein Vorwurf in Richtung Kultursenatorin, die ihr „Erbe der koordinierenden Zuständigkeit“ offenbar nur widerwillig angetreten hat und nur darum bemüht ist, „daß wir gegenüber der Bundesregierung mit einer Stimme reden“. Nur zu diesem Zweck hat Martiny dann auch für den 29. Mai eine interne Koalitionsdiskussion anberaumt.

Stölzl: „Kulturpolitik kann nicht nur Erdulden sein.“ In den „Varianten des Neins“ vermisse er vor allem die Visionen. Da hat er die Linken ganz einfach erwischt.

Gabriele Riedle