Dienst nach Vorschrift

■ Die volkseigene Liedermacherin Barbara Thalheim auf BRD-Tournee

Frag‘ mich jetzt nicht nach Glasnost, der Mauer und so. Ich bin nicht Gorbatschow, hab‘ die Mauer nicht gebaut und kann sie auch nicht abreißen“ - immer wieder bekommt Barbara Thalheim solche Fragen von Publikum und JournalistInnen zu hören. Vom Bubikopf zur Löwenmähne, von der Kinderliedersängerin zur Liedermacherin, von der Spießbürger -Göre ins Rampenlicht, vom Prenzlauer Berg ins vornehmere Viertel Karlshorst: dieser Lebenswandel drückt sich auch in den Liedern von Barbara Thalheim aus; so sieht ihr „Dienst nach Vorschrift“ (siehe Brief!) im real existierenden Optimismus aus.

Sie tritt gerade in schleswig-holsteinischen Bibliotheken auf, allein mit Gitarre. Das ist ungewohnt, für sie ist die Zeit mit der Gitarre unter dem Arm auf Studentenklubbühnen eigentlich schon seit Jahren vorbei. Inzwischen ist sie „Frontfrau“ einer eigenen Band. Die meisten Mitglieder davon sind übrigens in Sinfonieorchestern der DDR beschäftigt.

Ihr Publikum beim Auftaktkonzert in Kappeln besteht aus Mittdreißigern bis Mittvierzigern, überwiegend Frauen. In der Diskussion mit den ZuhörerInnen erntet sie keinen Widerspruch, Neugier überwiegt. Für Zuspruch und Dialog fehlen den BRD-BürgerInnen die DDR-Kenntnisse.

Sie glänzt auf der Gitarre, auch wenn sie das herunterspielt und von Unsicherheit spricht. Sie spielt sich einen Finger blutig; ihre Lieder besingen Blut, Schmerz, Schwäche, Sentimentalitäten, Sinnlosigkeit, Alleinsein und Sehnsucht. Ihr allererstes Programm („Lebenslauf“) begann mit einem Tonbandprotokoll aus einem Kreißsaal: wieder Schmerz, Blut und der glückliche Moment. „Meine Lieder sind nicht traurig. Es ist einfach eine Zustands- und Gefühlsbeschreibung. Wenn ich mich schlecht fühle, muß ich den Mut haben, das zu zeigen, sagen, singen - das hilft!“ erklärt Barbara Thalheim.

Die Alltags- und Milieugeschichten der volkseigenen Sängerin erinnern an Schicksalsschilderungen, Porträts, Bekenntnisse der volksnahen Lebemänner Brecht, Tucholsky, Ringelnatz, Eugen Roth, Kästner, Kisch - Literaturklassiker der 20er und 30er Jahre, aber auch zum Beispiel an Maxie Wander. In den 80er Jahren fehlt diesen Geschichten jedoch die Moral: Sie sprechen für sich - und das ist angenehm.

Barbara Thalheim teilt ein Stück ihres Lebens mit, erzählt, was sie erlebt. Die Texte stammen von Fritz-Jochen Kopka, ihrem langjährigen Lebensgefährten. Auch alle Texte aus dem Frauenprogramm Vorsicht Frau - das fordert geradezu zum Nachfragen heraus. Beide zucken mit den Schultern: „Was ist denn so ungewöhnlich daran? Er kennt mich halt sehr genau und kann schreiben. Die Kompositionen steuere ich bei, Texten ist nun mal nicht meine Stärke“, beteuert Barbara Thalheim. Emanzipiert zu sein, diese Frage stellt sich für sie nicht. Sie liebt Kopka, und er liebt sie. Barbara Thalheim über ein frauenbestimmtes, männerloses Leben und die hohen Scheidungsraten in der DDR: „Ich glaube, in der DDR gibt es keinen anderen Grund, mit einem Mann zusammen zu leben, als daß Frau ihn liebt!“

Die freischaffende Künstlerin ist sehr launisch: auf der Bühne, in ihren Höhlen-, Drachen- und Trotzdem-Liedern und im Leben. Sie hat viele Höhen und Tiefen mitgemacht und kann, will und darf diese beim Namen nennen. Ein Programm von ihr wurde verboten. „Ins DDR-Fernsehen komme ich wohl nie“, frotzelt sie nach ihrem zweiten Auftritt in einer West -Talkshow. „Diese Talkshows werden bei uns sehr viel gesehen. Da sitzen die Leute vor der Glotze wie bei einem Mitmachquiz und beantworten jede Frage der ModeratorInnen was wird die Thalheim wohl darauf antworten?“ amüsiert sich die Liedermacherin. Nach fünf DDR-Langspielplatten und einer LP mit Konstantin Wecker und Erika Pluhar steht sie fest etabliert auf eigenen Beinen und bekommt inzwischen problemlos den Stempel für Westauftritte in der BRD, Dänemark, Frankreich und in der Schweiz in ihren Paß. So ist sie auch in der westeuropäischen Liedermacherszene längst kein Geheimtip mehr.

Sie hält mit Kritik an der jetzigen DDR-Gesellschaft nicht hinter dem Berg - als Künstlerin und Mensch, nicht als Politikerin - weicht entsprechenden Nachfragen aber aus oder schweigt sich dazu aus, typisch. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund, kann schnodderig antworten und, die Kopka -Texte zeigen es, die Sache auf den Punkt bringen. Sie erzählt auch Geschichten aus der BRD, die vom devisenträchtigen, sie anekelnden Pflichtauftritt vor Fettärschen und -bäuchen in einem bayerischen Nachtklub, vom Frauenwochenauftritt nachts um drei Uhr, einer Stundenhotelabsteige über einer Puffetage oder einem Spontan -lieb-aber-laut-Quartier in einer kinderlärmenden WG.

Dieter Hanisch

In dieser Woche beendet Barbara Thalheim ihre kurze Solo -Tournee. Sie ist noch zu sehen:

22.5. in Tarp (Stadtbücherei),

23.5. in Glücksburg (Stadtbücherei),

24.5. in Apenrade (Dänemark),

25.5. in Eutin (Kreisbibliothek),

26.5. in Husum (Stadtbücherei).

Am 15. Juli tritt sie mit ihrer Band beim „Open-Flair -Konzert“ in Kassel auf.

Lesenswert ist auch das Buch Barbara Thalheim - Höhlen-, Drachen- und Trotzdem-Lieder von Fritz-Jochen Kopka, herausgegeben von Berthold Seliger im Almaviva-Verlag, Fulda.