„Mörder!“, schrieen die Opfer der Ölpanscher

■ Milde Strafen im spanischen Giftölprozeß / Nur zwei der Angeklagten müssen ins Gefängnis / Auch Entschädigungen fraglich Empörung und Verzweiflung der Opfer machte sich in Tumulten Luft: „Wir wollen kein Geld - wir wollen Gerechtigkeit!“

MONTAG, 22/5/89AUSLAND AKTUELL7 ANZEIG

Aus Madrid Antje Bauer

Mit Rapsöl gepanschtes Speiseöl war der Auslöser für die Epidemie, die im Mai 1981 in Spanien ausbrach und seither über 700 Tote sowie mehr als 25.000 lebenslang Kranke gefordert hat. So lautet der Urteilsspruch des Gerichts, der am vergangenen Samstag fast ein Jahr nach Beendigung des Prozesses in einem Pavillon des Madrider Ausstellungsgeländes Casa de Campo verlesen wurde. Alle anderen Thesen, wonach etwa ein B-Waffen-Unfall auf der US -Basis Torrejon bei Madrid oder unsachgemäße Anwendung des Bayer-Pestizids „Nemacur“ bei Tomaten die Erkrankungen ausgelöst hätten, seien nicht belegbar gewesen.

Die Strafen für die 38 Angeklagten, von denen einer inzwischen verstorben ist, fielen dennoch erstaunlich niedrig aus. Zwar hätten die Angeklagten in übertriebener Gewinnsucht Pflanzenöl mit Rapsöl gepanscht, obwohl sie wußten, daß das für industrielle Zwecke bestimmte Öl mit giftigen Anilinen vergällt war, doch sei ihnen eine Tötungsabsicht nicht nachzuweisen, so das Gericht. Der Hauptangeklagte Juan Miguel Bengoechea, der das Rapsöl aus Frankreich importiert und für den Genuß als Lebensmittel weiterverkauft hatte, wurde wegen Gefährdung der öffentlichen Gesundheit und Fahrlässigkeit zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, und Ramon Ferrero, der das Öl von Bengoechea gekauft, dann erfolglos versucht hatte, das giftige Anilin herauszufiltern und das Öl dann als Olivenöl weiterverkauft hatte, erhielt zwölf Jahre Haftstrafe. Beide wurden nach dem Prozeß sofort ins Gefängnis gebracht. Weitere elf Angeklagte wurden zu geringeren Strafen verurteilt, die sie wegen ihrer vier Jahre Untersuchungshaft nicht absitzen mußten. Die übrigen Angeklagten wurden freigesprochen.

Hunderte Zuschauer, die selber erkrankt waren oder Familienangehörige durch das „Giftölsyndrom“ verloren hatten, hörten in gespannter Stille der Stunden währenden Verlesung des Urteils in dem zum Gerichtssaal umgebauten Ausstellungspavillon zu, weitere 1.000 verfolgen die Verlesung von einem benachbarten Pavillon aus, in dem auf einer riesigen Leinwand der Prozeß übertragen wurde. Viele waren schon im Morgengrauen hergekommen, um Einlaß zu finden, manche hatten sogar die Nacht vor dem improvisierten Gerichtssaal verbracht. Arbeiterehepaare waren es zumeist, die in den Armenvierteln der Stadt wohnten und 1981 von Straßenhändlern das angebliche Olivenöl billig gekauft hatten, das dann das Leben vieler Familien völlig zerstörte, Tod und lebenslange Krankheit herbeiführte. Als das Gericht zur Verlesung der Entschädigungssummen überging, war es vorbei mit der Ruhe. „Wir wollen kein Geld, wir wollen Gerechtigkeit“, schrie eine Frau im Gerichtssaal, eine kleine weißhaarige Frau neben mir bat zunächst um Ruhe und murmelte dann leise und immer lauter bis sie schließlich schrie: „Die Schmerzen! Man kann nachts im Bett nicht schlafen vor Schmerzen! Gerechtigkeit!“ während ihr die Tränen die Wangen herunterliefen. „Hurensöhne!“ schrieen alte Arbeiter in Richtung des Gerichts und: „Mörder!“ in Richtung der Angeklagten. Acht Jahre Spannung und Leid entluden sich in Weinkrämpfen, draußen drängten die Betroffenen gegen die zahlreich angetretenen Polizisten, um sich Einlaß zu verschaffen. „Sagt's im Ausland“, rief eine junge Frau bitter den Journalisten zu, „daß diese Mörder hier hundert Leute umgebracht haben. Mein Vater ist auch gestorben. Er war der einzige, den ich hatte!“ Für eine Stunde wurde die Sitzung unterbrochen. Richter und Verteidiger drückten sich unschlüssig in den Türen herum, während draußen die Polizei Schlagstöcke einsetzte und Rauchbomben abschoß, um die Empörten am Sturm auf den Saal zu hindern, die Rotkreuzhelfer Dutzende Zuschauer versorgten, die wegen der Aufregung ohnmächtig geworden waren oder hysterische Anfälle erlitten hatten. Andere schrieen ihre Leidensgeschichte heraus. Nach dem Prozeß machte sich die Empörung in Steinwürfen auf den Bus der Angeklagten Luft, der schließlich mit zersplitterten Scheiben fluchtartig abfuhr.

Für die Betroffenen gibt es keinen Zweifel daran, daß das Öl die Ursache der Erkrankungen war, die zunächst als atypische Lungenentzündung diagnostiziert worden war. Hohes Fieber, Schwächeanfälle und Übelkeit hatten die Kranken zunächst erlitten. Es folgten Muskelverkrampfungen, unkontrollierbare Bewegungen, Haarausfall und nicht endenwollende Schmerzen im ganzen Körper, an denen viele heute noch leiden. Rollstühle am Eingang zeugten von den verheerenden Wirkungen, an denen in den betroffenen Familie zumeist mehrere Mitglieder gleichzeitig zu leiden haben.

Auch nach dem Urteil sind viele Fragen offengeblieben. Der Stoff, der die Krankheit ausgelöst hat, ist noch immer nicht entdeckt worden. Die Aniline allein rufen die genannten Symptome nicht hervor. Ungeklärt bleibt weiterhin, wieso viele erkrankt sind, die das Öl nicht zu sich genommen haben, hingegen andere, die es genossen haben, nicht krank wurden. Ungeklärt bleiben die Aussagen mancher Wissenschaftler, die die These vom Giftöl zunächst bestritten und hinterher - aufgrund von Druck? - doch bestätigten. Ungeklärt bleiben die Diebstähle von Materialien z.B. bei den Betroffenenvereinigungen.

Daß die Verteidiger die Giftölthese bestritten haben, liegt im Interesse ihrer Mandanten. Doch auch Vertreter der Nebenklage wie etwa der Anwalt Fernando Salas äußerten noch am Samstag Zweifel an dieser wie auch an allen anderen vorgetragenen Thesen. Keine Hoffnung bleibt den Opfern. Ihr Bedürfnis nach Bestrafung der Schuldigen blieb unbefriedigt. Und auch von den ihnen im Urteil zugestandenen Entschädigungen werden sie nicht viel sehen. Der Staat sei nicht haftbar, so der Richter, falls die Angeklagten sie nicht leisten könnten. Woher die 13 Verurteilten das Geld für die Entschädigung von 25.000 Menschen nehmen sollen, die ihr Leben lang krank sein werden, sagte es nicht dazu.