Die Grünen auf der Suche nach der Multikultur

Auf dem Parteitag der Grünen in Münster stand die multikulturelle Gesellschaft im Mittelpunkt / Allgemeines Bleiberecht für Ausländer gefordert / Kebabbuden und Pizzastuben machen noch keine multikulturelle Gesellschaft / Widersprüchliche Schlußresolution  ■  Aus Münster Gerd Nowakowski

Als die Delegierten schweigend in der Münsterlandhalle standen und des in Berlin ermordeten Türken Ufuk S. gedachten, da war der Parteitag wirklich am Thema angekommen. Diese Minute war von einer berührenden Stille beherrscht. In diesem Moment waren die knapp 370 Grünen viele der 600 Delegierten waren ferngeblieben - wirklich bei den Menschen angekommen, über die sie stundenlang debattierten.

„Mut zur multikulturellen Gesellschaft - Gegen Rechtsradikalismus und AusländerInnenfeindlichkeit“ lautete das Motto der Bundesdelegiertenkonferenz. Formal nur eine Fortsetzung des Duisburger Parteitags vom März, wählten die Grünen vor der Europawahl diesen Schwerpunkt. Die Partei, das wurde deutlich, tut sich freilich bei der Ausformulierung dieser multikulturellen Gesellschaft sehr viel schwerer als bei der Problemanalyse, die der eingespielten „weg-mit„-Mentalität der Linken entspricht. „Das eigentliche Resultat von sieben Jahren Wendepolitik ist die politische Freisetzung des Rechtsextremismus“, erklärte Vorstandssprecher Ralf Fücks in Richtung Bundesregierung. Die zunehmend sich verschlechternde soziale und ökonomische Lage eines wachsenden Teils der Bevölkerung, Massenarbeitslosigkeit und Wohnraummangel werden als Ursachen genannt. Gerade die ausländerfeindliche Politik der „demokratischen“ Partei CDU verstärke die Akzeptanz rechtsradikalen Gedankenguts in der Bevölkerung, vertritt Vorstandssprecherin Verena Krieger. Hier sind sich die Grünen weitgehend einig, mag auch umstritten sein, ob ein Verbot die Handlungsmöglichkeiten der rechtsradikalen Parteien „neutralisieren“ kann.

Bei der multikulturellen Gesellschaft aber bleiben deren Konturen ebenso blaß wie die Konflikte, die einem solchem Konzept innewohnen. Umstritten ist bereits der Weg dorthin: Wie offen sollen die deutschen Grenzen sein? Die Vorstandsresolution nennt lediglich den freien Zugang für alle Verfolgten und ein uneingeschränktes Recht auf Asyl als Ziel. Ein mehrheitlich von Hamburger Delegierten unterzeichneter Antrag geht weiter und fordert ein allgemeines Bleiberecht für alle Ausländer.

Der Realpolitiker Udo Knapp lehnt das ab: Dies „fördert Ausländerhaß, statt ihn zu bekämpfen“, weil es die Ängste der Menschen vor einem unbegrenzten Zuzug von außen nicht ernst nehme. Knapp macht deutlich, daß das „Boot noch längst nicht voll“ sei, aber es brauche Regelungen, um das wünschenswerte Ziel eines Bleiberechts zu erreichen. Außerdem, so argumentiert er, untergrabe es das Asylrecht für Verfolgte. „Kleinkariertes Besitzstandsdenken“ wirft ihm dagegen Franz Scheuerer von der Bundesarbeitsgemeinschaft Immigranten und Flüchtlinge unter Beifall vor. Für ihn beinhaltet ein Bleiberecht für alle auch die akzeptierte Verantwortung für die von der BRD verantwortete Not der dritten Welt.

„Wer die multikulturelle Gesellschaft will, muß offen dazu sagen, daß die ein konfliktreiches Konzept ist und kein Ringelreihenspiel gelber, schwarzer und weißer Kinder“, ist für Verena Krieger klar. Das gleichberechtige Zusammenleben „erzeugt zwangsläufig Reibung, und unsere Toleranz gegenüber fremden Kulturen hat spätestens dort ein Ende, wo Menschenrechte verletzt werden“. Sie meint die linken Vorbehalte gegen die Unterdrückung der Frauen in patriarchalischen Gesellchaften und religöse Intoleranz. Daß es um mehr und auch um das Aufgeben von eigenen Privilegien geht, macht die Bundestagsabgeordente Erika Trenz deutlich. Die „Bereicherung des Bauches“ durch Kebabbuden und Pizzastuben könne nicht die Vision einer multikulturellen Gesellschaft sein.

„Nichts ist schlimmer als die Verklärung des guten Ausländers gegen den schlimmen Deutschen“, warnt der künftige Frankfurter Dezernent für Multikulturelles, Dany Cohn-Bendit, der langanhaltenden Beifall erhält. Die Linke müsse den „Brustton der Selbstgerechtigkeit ablegen“, um glaubwürdig zu sein. Man könne die Menschen bei der Forderung nach einer multikulturellen Gesellschaft nur gewinnen, wenn man ihnen auch die eigenen Ängste davor offenbare. Es gehe nicht an, das Zusammenleben mit Ausländern zu propagieren, aber als linke Eltern darauf zu achten, daß die Kinder auf Schulen ohne Ausländerkinder kämen, damit sie besser lernten. In der verabschiedeten Resolution schlägt sich solch Nachdenkliches nicht nieder. Hier setzt sich mit einer Mehrheit von fünf Stimmen (152 zu 147) die weitestgehendste Forderung durch: ein allgemeines Bleiberecht als Synonym für offene Grenzen. Dies beinhalte „die Abschaffung aller Antragsverfahren“. Paradoxerweise aber wird gleichzeitig weiter auf dem Asylrecht für alle Verfolgten beharrt, ein Bleiberecht nur für Flüchtlinge und ein Niederlassungsrecht für EinwanderInnen nach fünfjährigen Aufenthalt gefordert. Niedergestimmt wird der Zusatzantrag auf ein Recht auf Einbürgerung nach fünf Jahren, die Möglichkeit einer doppelten Staatsangehörigkeit und die Forderung, jedes in der Bundesrepublik geborene Kind solle die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Die Widersprüchlichkeit der Resolution ficht die Delegierten nicht an. Der Antrag sei das Papier nicht wert, geißelt die Schriftführerin des Vorstands Renate Damus den darin enthaltenen „Verbalradikalismus“. Sie erntet nur Unmut.