Peking trotzt dem Kriegsrecht Ultimatum bis zum Morgengrauen

■ Hunderttausende blockierten in Peking am Wochenende das anrückende Militär / Erste Verletzte bei Gerangel zwischen Soldaten und Studenten / Li Peng droht gewaltsame Räumung des Platzes des Himmlischen Frieden an / Parteichef Zhao abgesetzt?

Peking (dpa/ap/afp/taz) - Der Staat versucht den Aufstand gegen das Volk von Peking: Die Bevölkerung der chinesischen Hauptstadt hat am Wochenende die Verhängung des Kriegsrechts durch Ministerpräsident Li Peng, den neuen Falken an der Spitze des Landes, ignoriert. Wie in der Nacht zuvor strömten auch am Sonntag wieder eine Million Menschen auf die Straßen der Hauptstadt, Hunderttausende besetzten erneut den Platz des Himmlischen Friedens. Daraufhin umstellte das Militär die größeren Universitäten, Soldaten besetzten die Redaktionen von Radio und Fernsehanstalten, von Parteizeitung und staatlicher Nachrichtenagentur. Im Südwesten Pekings standen am Abend 200 Panzer mit laufenden Motoren. Zehntausende BürgerInnen bereiteten sich auf die Besetzung von Straßenkreuzungen vor und warteten auf die Nacht der Entscheidung: Li Peng hatte am Tag sein Ultimatum erlassen - Montag morgen um fünf Uhr Ortszeit sollte Frieden sein auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Wenn die Studenten nicht freiwillig gingen, würden die Soldaten sie mit Gewalt vertreiben.

Bestätigt wurde das Ultimatum Li Pengs zunächst nicht. Im Gegenteil: Die Pekinger Stadtregierung dementierte. In einer mehrmals in das Abendprogramm des Fernsehens eingeblendeten Bekanntmachung hieß es, eine in Peking zirkulierende entsprechende Mitteilung sei ein „reines Gerücht“. „Bitte, liebe Studenten, glauben Sie das nicht“, hieß es in der Erklärung. Als Gerücht bezeichnete es der Sprecher der Stadtregierung außerdem, daß alle großen Gefängnisse angewiesen seien, für eine Masseneinlieferung von Studenten Platz zu schaffen. Die Vertretung des autonomen Studentenverbandes hatte auf dem Platz am Abend (Ortszeit) mitgeteilt, sie hätten eine Botschaft Lis mit der Drohung erhalten. Auf Handzetteln teilten Studenten außerdem mit, daß eine Kommilitonin und ein Komilitone an den Folgen ihres einwöchigen Hungerstreiks gestorben seien.

Außerdem berichteten sie über erste Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Militär. Dabei hätte die Bereitschaftspolizei mindestens 45 Menschen verletzt. Die Polizisten hätten mit elektrisch aufgeladenen Ochsenziemern auf die Menschen eingeschlagen, vorzugsweise auf Mädchen, berichtete ein Student. Auch am Pekinger Hauptbahnhof, wo nach unbestätigten Berichten Truppen in großer Zahl ankamen, soll es Zusammenstöße zwischen Soldaten und Studenten gegeben haben. Gegen diese Gruppe von Studenten, die von Arbeitern unterstützt wurden, sei wie anderswo Tränengas eingesetzt worden. Die rund 1.500 Soldaten, die den Hauptbahnhof besetzten, waren mit automatischen Waffen ausgerüstet. Bewohner der Hauptstadt stellten rund um den Bahnhof Lastwagen auf, um die Zufahrt zu blockieren. Hunderte von Studenten bildeten vor dem Gebäude eine Menschenkette.

Insgesamt sollen fünf armeekorps, das heißt rund 150.000 Soldaten, in die Hauptstadt beordert worden sein. Ihre Aufgabe: „die Ordnung in der Stadt wiederherzustellen“. In einer in den Fernsehnachrichten verbreiteten Erklärung des Kommandostabes hieß es, die Truppen hätten sich bisher „höchste Zurückhaltung“ auferlegt. Es wurde bekräftigt, daß die Armee nicht gegen „patriotische Studenten“ vorgehen werde. Die Truppen müßten „strikt die Befehle der Regierung ausführen“, hieß es.

Die Studenten forderten am Samstag den Rücktritt von Li Peng und Deng Xiaoping. Auf Flugblättern, die sie verteilten, hieß es gestern zum Schicksal von Parteichef Zhao Ziyang: „Zhao Ziyang ist unter Hausarrest gestellt worden.“ Li Peng amtiere vorläufig als neuer Generalsekretär. Auch aus anderen Städten - unter anderem auch Hongkong - wurden Massendemonstrationen gemeldet, in Schanghai kam rund eine halbe Millionen Menschen zusammen.

ar