Zivildienst ist Kriegsdienst

Wir Zivildienstleistende begrüßen die gemeinsame Erklärung von IG Metall und DFG-VK zur Kriegsdienstverweigerung sowie die Solidaritätsbekundungen von IG Medien und HBV. Wir begrüßen auch die Proteste unterschiedlicher Organisationen gegen die Verlängerung der Wehrpflichtzeit, die inzwischen zu einem zumindest vorläufigen Erfolg geführt haben. Es zeugt unserer Ansicht nach von Verantwortungslosigkeit, in der Bundeswehr zu dienen, statt durch Kriegsdienstverweigerung (KDV) einen Beitrag zu Entmilitarisierung und Abrüstung zu leisten.

Wir wenden uns allerdings dagegen, daß im Laufe der Diskussion über die Dauer der Wehrpflichtzeit und die oben erwähnte KDV-Erklärung nahezu vollkommen ignoriert wurde auch von linken und fortschrittlichen Kräften -, daß es ein wirkliches Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der BRD gar nicht gibt. Nach § 23 des Zivildienstgesetzes unterliegen Zivildienstleistende (ZDL) auch noch nach Beendigung ihres Dienstes der Zivildienstüberwachung, welche die Grundlage für die im „Verteidigungsfall“ vorgesehene Einberufung aller ehemaligen ZDL bildet (nach § 79 können sie dann zum „unbefristeten Zivildienst“ herangezogen werden). Als eine Art - unbewaffneter - „Heimatfront-Soldaten“ sind Kriegsdienstverweigerer in die zivilmilitärischen Szenarien unserer Gesamtverteidigungsstrategen voll integriert.

Das Bundesverfassungsgericht urteilte 1985, das Grundgesetz berechtige „nicht zur Verweigerung des Kriegsdienstes schlechthin, sondern nur zur Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe“. „Und daher kann das im Verteidigungsfall bedeuten, daß der ZDL im Luftschutz und Feuerlöschdienst und beim Blindgängerentschärfen eingesetzt würde. Das ist im übrigen auch im Zivildienstgesetz ausdrücklich so geregelt“, wußte schon lange vor dem Urteil Dr.Heiner Geißler. Und schon 1960 hatte ein Regierungsrat Kreutzer formuliert: „Dazu kommt, daß in einem zukünftigen Kriege unzählige Bürger für Aufgaben des Luftschutzes und Katastrophenschutzes - es sei nur auf die ABC-Waffen hingewiesen - benötigt werden. Hierfür werden mehr Menschen gebraucht, als anerkannte Kriegsdienstverweigerer zur Verfügung stehen.“

Beim Zivildienst kann also von einer konsequenten Kriegsdienstverweigerung keine Rede sein. Sie ist in der BRD nicht vorgesehen. (...)

Es gibt aber noch eine ganze Menge anderer Gründe, KDV nicht mit Zivildienst zu verwechseln: zuallererst einmal die Frage der Demokratie und der Freiheit. Wie kommt es, daß kaum einer derjenigen, die die Verlängerung der Wehrpflichtzeit ablehnen, die Wehrpflicht als solche in Frage stellt? Wieso akzeptieren unzählige linke und demokratische Organisationen und Persönlichkeiten die Anmaßung der herrschenden Polit- und Militärstrategen, alljährlich Hunderttausende junger Männer für Monate und Jahre ihrer Freiheit zu berauben? Wieso zementieren diese Organisationen den Zwangsdienst mit ihrer Forderung nach Verkürzung auf zwölf Monate Wehrdienst, anstatt einen großen Schritt weiterzugehen und endlich seine Abschaffung zu fordern? Der Zwangsdienst in der BRD zeugt von einem obrigkeitsstaatlichen Bedürfnis der Regierung, „ihre“ Bürger in die Pflicht zu nehmen. Er ist einer Demokratie unwürdig.

Schließlich muß berücksichtigt werden, daß ZDL in den allermeisten Fällen als vollwertige, das heißt unersetzliche, dazu spottbillige Arbeitskräfte im Sozialbereich eingesetzt werden. Mit der vorgeschriebenen Arbeitsmarktneutralität der ZDL ist es nicht allzuweit her, man könnte auch formulieren: Jeder Zivi ist ein Jobkiller. Müßten hier nicht die Gewerkschaften - allen voran die ÖTV und die Arbeiterparteien auf die Barrikaden steigen? Wir haben den Kriegsdienst nicht verweigert, um schlecht ausgebildete Lückenbüßer im von der Regierung vernachlässigten sozialen Netz zu sein, sondern um einen Beitrag für den Frieden - auch den innergesellschaftlichen zu leisten.

Es wird also Zeit, daß sich die Demokraten im Lande endlich dazu entschließen, für die Abschaffung der Zwangsdienste einzutreten und sich gleichzeitig mit allen eingesperrten oder angeklagten Totalverweigerern zu solidarisieren. Die Friedensbewegung hat an der jüngsten Aktionskonferenz am 8./9.April in Köln wenigstens einen Anfang gemacht und in einer „Resolution zur Kriegsdienstverweigerung“ die Frage aufgeworfen, inwieweit „der Zivildienst angesichts seiner Einbindung in militärische Planungen und Kriegsvorbereitungen eine Alternative zum Militär“ ist.

Wir erwarten, daß die gesamte Linke dieses Problem endlich wahrnimmt und die Diskussion darüber beginnt. Forderungen nach einer bloßen Reform des Zivil-Zwangsdienstes halten wir dabei für unzureichend. Am Ende des Diskussionsprozesses muß nach unserer Ansicht die Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht und die sofortige Amnestie aller Totalverweigerer stehen.

Wir werden uns damit nicht nur Freunde machen und in der Öffentlichkeit gewiß nicht nur offene Türen eintreten. Wir brauchen aber den Mut, für als richtig Erkanntes einzustehen und dabei eine gewisse Radikalität nicht zu scheuen. (...)

Thomas Wolf, Jörg Schneider, Andreas Raimann, Frank Brendle, Armin Hartenstein, für die Selbstorganisation der Zivildienstleistenden im Landkreis Lörrach